Riemenschneider
Bischof Lorenz, im Eifer der Kopfbewegung blieb der Saum des Schutztuches am Kragen hängen, und beide Hälften zeigten sich: das Ebenmäßige und die Fratze. »Er ist ein Meister der Gott geweihten Kunst. Seine Hände erschaffen, sie erwecken Stein und Holz. Ich selbst habe bei ihm, als Zeichen tiefer Bewunderung, mein Grabmal in Auftrag gegeben.«
»Euer Lob beschämt mich«, murmelte Til. »Danke, hoher Herr.«
Doktor Martinus lächelte immer noch. »Sagt, Meister, habt Ihr Euch auch schon selbst in einigen Werken dargestellt? Nein, verzeiht, so wollte ich nicht fragen. Heiligenfiguren also? Und die Muttergottes? Gewiss trägt sie das Kind auf dem Arm, oder sie wiegt den toten Sohn auf den Knien. Ja, ich sehe die Figuren vor mir und erschrecke.«
Ein Sturm nahte. Til spürte das Blut aufsteigen. »Ich … ich kenne die Kirche Eures Klosters nicht. Aber ganz sicher wird es in Wittenberg wie auch bei uns in Würzburg keine Muttergottes geben, vor der sich ein gläubiger Christenmensch fürchten muss.«
Der Dompropst kam zu Hilfe: »Zur Klärung frage ich nicht den Bruder Martinus, sondern gleich den ach so gelehrten Doktor Luther: Wollt Ihr jetzt auch die Jungfrau Maria in den Schmutz ziehen?«
»Nein! Niemals!« Der Finger drohte. »Dies besorgt schon Euer Ablass-Scharlatan Tetzel. Er wagt in seiner Predigt zu behaupten, wenn einer sich selbst an der Mutter Gottes fleischlich vergangen hat, so kann diese Sünde um den Preis des Ablassgeldes vergeben werden.«
Die Domherren sprangen auf. Til und der Bürgermeister starrten mit offenem Mund den Mönch an. Bischof Lorenz ordnete das Seidentuch wieder vor die kranke Gesichtshälfte. »Bitte setzt Euch wieder, meine Freunde. Bruder Martinus, hätte ich geahnt, welche Schärfe Ihr mitbringt, so hätte ich in der Küche Bescheid gegeben, den Aal nicht zu pfeffern und Euch das Würzen überlassen.«
»Eure fürstlichen Gnaden, verzeiht.« Martin Luther legte die Hände zueinander und beugte die Lippen über die Fingerkuppen. »Es ist so viel Missbrauch, Übel und Faules in unserer Kirche, dass ich kaum noch schlafen kann.«
»Guter Frankenwein und das köstliche Mahl werden Euch heute Nacht vielleicht darüber hinweghelfen.«
Keinen Bissen nahm Til vom gesottenen Aal. Was meint dieser Mönch? Redet verächtlich über meine Arbeiten und hat noch nie eine Figur gesehen. Dieser Kuttenkittel. Wären wir im Rathaus, dann würde ich ihm … In jedem Fall aber würde ich ihn aus meiner Werkstatt jagen.
Kaum hatten die Diener die Tafel wieder abgeräumt, räusperte sich Til vernehmlich. »Darf ich zurückkommen auf die Muttergottes und die Heiligen?« Unter dem höflichen Ton grollte es. »Mich würde doch sehr interessieren, was Ihr an den Figuren auszusetzen habt?«
»Sie sind zu schön, sie blenden so sehr, dass wir Gott nicht mehr sehen. Die Künstler malen und stellen uns die selige Jungfrau so dar, dass nichts Verachtenswertes, sondern nur eitel große und hohe Dinge an ihr zu sehen sind. Wo bleibt die Unwürdigkeit, die Nichtigkeit, die tiefe menschliche Armut, aus der Gott sie mit seiner Gnade emporgehoben hat? Ihr, Meister Riemenschneider, habt mit Eurem Können ein Großteil Schuld auf Euch geladen, dass der Gläubige allein der Muttergottes gegenübersteht, und nicht die Magd Maria ihrem Gott.«
»Mein Leben lang habe ich …« Til atmete und drückte die Faust fest auf den Tisch. »Bisher habe ich von ganzem Herzen an sie geglaubt, und ich werde auch nicht davon ablassen.«
»Götzendienst. Das ist es.« Der Mönch reckte das Kinn. »So wie Euch gibt es zu viele, die bei Maria wie bei einem Gott Hilfe und Trost suchen. Oh, ich befürchte, dass es zurzeit mehr Abgötterei in der Welt gibt als jemals zuvor. Und Ihr tragt mit Eurer Kunst dazu bei.«
»Wie könnt Ihr …?« Mit der Linken presste Til seine Faust nieder. »Ihr meint, die Figuren und Bilder sind überflüssig?« »Sogar hinderlich. Diese Christophorusse, diese Nikoläuse, all die Heiligenfiguren, sie stehen im Weg, sie versperren den offenen Blick auf Gott …«
Große Schritte; vorbei am Ziehbrunnen der rund gebauten Schlosskirche; große Schritte; vorbei am Bergfried mitten im Schlosshof; nein, Til wollte nicht sprechen. Auf der Zugbrücke vor dem mächtigen Torbau blieb Bürgermeister Zirckel atemlos stehen. »Verehrter Meister, bitte langsamer. Kollege Riemenschneider, ich komme nicht mit. Oder seid Ihr auf der Flucht?«
Kurz blickte Til über die Schulter. »So ist es. Vor diesem Besessenen.«
»Aber er
Weitere Kostenlose Bücher