Riemenschneider
mit Truppen gegen diesen schändlichen Raubritter vorgehen. Ohne großen Erfolg.« Wieder verlangt der Kranke nach Flüssigkeit. Sein Atem geht ruhiger. »Freunde, sagt es überall: Keiner, der zu mir kam und Hilfe erbat, ist ungetröstet wieder gegangen …«
Immer erneut von Schwäche unterbrochen, malt Lorenz von Bibra an diesem Vormittag weiter an seinem Lebensbild: nicht Politik, nicht seine Liebe zur Kunst, nicht seine prunkvolle Hofhaltung, diese leuchtenden Farben sind schon festgehalten, heute drängt es ihn aus dem Strahlen der Bildmitte hin zum unteren Rand. Dort im Halbdunkel will er bei seinen Untertanen verweilen, in ihrem Gedächtnis will er als mildtätiger Herrscher weiterleben.
»Erinnert die Leute an den Mai im Jahre 1512, als nicht genug Korn gemahlen war … und es nicht genug Brot gab. Die Kinder weinten sich hungrig in den Schlaf. Die Eltern verzweifelten. Da habe ich über beide Pfingsttage in der Schlossbäckerei Brot … Brot … Was wollte ich sagen?«
Die Herren sehen sich an, und der Domdechant neigt vor dem Seidentuch leicht den Kopf. »Ihr habt in Eurer großen Güte Brote backen lassen.«
»So ist es …« Gerührt von sich selbst, schluchzt der Herrscher einige Male. »Und … und wie viele waren es?«
»Mehr als 2500 Brote habt Ihr auf Wagen verladen und in der Stadt verteilen lassen.«
»Ich erinnere mich …« Das Weinen nimmt zu. »Und die Kindlein …« Lorenz von Bibra findet wieder zu sich, geschwächt bittet er: »Genug für heute. Geht jetzt. Und vergesst nicht …«
Als die Tür sich schließt, legen die Diener den Vorhang beiseite. In sich zusammengesunken, lehnt der Fürstbischof im Stuhl, das Gesicht vollständig von Geschwüren zerfressen. Der Arzt nimmt den Kopf behutsam zurück und tupft Eiter von den Gewächsen an Lippen und Nase. »Hoher Herr, Ihr habt Euch überanstrengt. Ich denke, eine Sitzung im Schwitzkasten wird Euch Linderung bringen.«
»Fegefeuer, willst du sagen.« Für einen Augenblick flackert Lebendigkeit in den Augen. »Ich büße auf Erden schon meine Sünden …« Gleich straft ein erneuter Hustenanfall den Heiterkeitsversuch.
Im Schlafgemach wird Lorenz von Bibra entkleidet und bis zum Hals in den tonnenförmigen Kasten gesetzt. Nach dem Schließen der Seitenklappe schieben die Diener den Gluttopf unten ins Feuerfach. Kaum erlöst aus dem Schwitzkasten, wird der Patient wieder abgetupft, dann bestreicht der Arzt die befallenen Stellen mit einer Salbe aus Quecksilber, Asche und Speichel, sorgsam pinselt er Rachen und Gaumen mit Höllenstein aus. »Hoher Herr, wir müssen uns mit dem Gedanken beschäftigen, die Geschwüre an den Lippen wegzubrennen.«
»Und damit verliere ich die Fähigkeit zu sprechen? Kann Gott und den Heiligen nicht mehr laut Dank sagen?«
»Mit einer gewissen Einschränkung ist wohl zu rechnen.«
Lorenz von Bibra schweigt. Am Abend legt er die Hände auf der Bettdecke zusammen. »Paratum cor meum, Deus, paratum cor meum; cantabo et psallam tibi, gloria mea …« Er ringt nach Atem. »Ja, Herr, bereit ist mein Herz …«
In der Stunde nach dem Abendläuten umhüllt der knöcherne Reigenführer den Bischof mit seinem Mantel und geleitet ihn sanft von der Bühne.
Es ist Sonntag, der 6. Februar im Jahre des Herrn 1519.
Wachs und Schminke liegen bereit. Die ganze Nacht über arbeiten der Leibarzt und seine Helfer. Am Morgen sitzt der Tote, angetan mit der Mitra und den heiligen Gewändern, in seinem Stuhl, versteckt unter dem Stoff hält ein Holz den Rücken aufrecht, die vollen Wangen sind leicht gerötet, ein Lächeln umspielt die Lippen.
»Der Bischof ist tot!« Feierlich tragen die Diener den Verstorbenen vom Schloss hinunter zur Stadt, und mit Gesängen geleiten die Bürger ihren Hohen Herrn, Lorenz von Bibra, in den Dom.
Möckmühl
»Ist das eine gute Idee, Herr?« Im Turmzimmer der Burg zu Möckmühl steht Knappe Thoma hinter seinem Ritter und schaut furchtsam an ihm vorbei aus dem schmalen Fensterschacht. Weit drüben zwischen den Wiesenhügeln rauchen die Feuer des feindlichen Hauptlagers.
»Heute Abend!«, schnauft Götz von Berlichingen. Er wendet den Kopf. Schweiß rinnt ihm von der Stirn. »Und hüte dein Maul. Jetzt in der Not hast du nur zu gehorchen. Sonst …« Müde winkt der Ritter ab. »Was bleibt uns denn übrig? Bin nur froh, dass meinem Weib die Flucht geglückt ist. Ja, Junge, das merke dir: Die guten Weiber soll ein Ritter schützen.«
»Und auch seine treuen Diener …«
»Memme. Hab ich dich und diesen
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