Riemenschneider
Doktor Martinus.« Er öffnet das Visier. »Wenn das kein echter Überfall war? Ich fühlte mich an frühere Zeiten erinnert. Aber lassen wir das.« Er löst selbst die Fesseln und verneigt sich leicht vor dem Gefangenen. »Gestatten, Ritter Burkhard Hund von Altenstein. Unser weiser Fürst Friedrich gab mir den ehrenvollen Auftrag, Euch zu überfallen und zu entführen. Wie ich hörte, seid Ihr davon unterrichtet worden, und ich muss sagen, Ihr habt Eure Rolle gut gespielt.«
»In Worms wurde ich von zwei kursächsischen Räten informiert.« Martin reibt sich die Handgelenke. »Doch wann und wo sagte man mir nicht. Ich gestehe, jetzt da die Ungewissheit vorbei ist, rebelliert mein Magen und auch die Beine sind ein wenig schwach.«
Für Rast und Erholung ist keine Zeit. Martin muss seine Kutte mit weltlicher Kleidung tauschen und wird auf ein Pferd gehoben. Bis tief in den Abend reitet der Trupp nach Osten, um die Spuren zu verwischen, dann erst in der Dunkelheit ändern sie die Richtung und gelangen eine Stunde vor Mitternacht hoch oben vor dem Tor der Wartburg an.
Schlosshauptmann Hans von Berlepsch begrüßt persönlich den späten Gast: »Junker Jörg, im Namen des gnädigen Kurfürsten Friedrich heiße ich Euch willkommen in Eurem neuen Zuhause. Darf ich Euch zur Begrüßung einen Schluck vom guten Malvasier an bieten?«
Würzburg
Helles Geschnatter erfüllt den Speiseraum des Wolfmannsziechleins. »Und von einem Hütchen … Nein, ich Dummerchen.« Die kleine Hand schlägt auf den Mund. »Ich meine natürlich: Von einem wunderbaren Hut habe ich heute Nacht geträumt. Weißt du, so rund wie ein Barett. Und der Rand war mit Glassteinen bestickt. Und obendrauf Federn. Weißt du, ich hab gehört, dass wirklich vornehme Damen sogar die Federn mit Goldstaub versehen lassen. Also solch einen Hut wünsche ich mir.«
Magdalena nutzt den Sehnsuchtsseufzer der jungen Herrin, um ihr Interesse auf die anstehenden Arbeiten zu lenken. »Das Wetter heute Morgen ist kalt, aber trocken und sonnig. Es wird ein guter Tag für die Wäsche. Wir können die großen Tücher für ein paar Stunden nach draußen hängen.«
»Jetzt schmeckt es mir nicht mehr.« Margarethe schiebt die Unterlippe vor und stößt die Schale mit honiggesüßtem Körnerbrei von sich. »Ich habe dich gebeten, beim Essen nicht über solche Hausputzsachen zu sprechen. Ich mag das nicht. Meine Mutter …«
»Aber, Herrin.« Magdalena legt die gefalteten Hände auf den Tisch. »Ihr musstet daheim in Ochsenfurt auch mitarbeiten, in der Küche oder in der Nähstube.«
Der Blick der wasserhellen Augen wird wund. »O ja, genug. Oft habe ich geweint, das weißt du genau. Und Mutter hat mich immer getröstet: Wenn du mal eine Dame bist, dann musst du dir die Hände nicht mehr schmutzig machen, dann darfst du auf schönen Kissen sitzen und …«
» … und kandierte Früchte essen«, ergänzt Magdalena den schon so oft gehörten Ausspruch.
Vor nun bald eineinhalb Jahren ist die verwöhnte Tochter der Kaufmannswitwe Melchinger aus Ochsenfurt als vierte Hausfrau in den Hof des Bildschnitzers eingezogen.
Beim ersten Hinsehen hatte Magdalena das goldblonde Haar der neuen Herrin, ihre weiße, glatte Haut und die vollen Lippen, vor allem aber ihre Jugend geneidet. Dann aber öffnete die Zweiundzwanzigjährige den hübschen Mund, und die Sätze hüpften ihr wie durchdringendes Gequake von der Zunge. »Nenn mich nicht Margarethe, so heißen alte Weiber. Ich bin Gretelein …« Dazu ein untermalendes Kichern. »Frau Gretelein, das klingt doch gleich viel feiner.«
»Wenn Ihr es wünscht, Herrin.«
»Und du bist die gute Seele hier im Haus, das hat er …« Ein Wimpernschlag und ein langer Blick hinauf zu Meister Til. »Das hat er mir schon verraten. Und wir werden nichts daran ändern. Alles soll so bleiben, wie es ist. Ist das nicht schön?«
Und Gretelein hielt sich streng an dieses Versprechen: Sie scheut jede Arbeit, flaniert gern in Begleitung einer der Hilfen über die Märkte oder durch die Stoff- und Schmuckläden der Stadt; und während des Nachmittags liefern dann Kaufleute kleine und größere Pakete ins Wolfmannsziechlein. Gleich zu Anfang hat sie versucht, den Meister zu überreden, nicht mehr gemeinsam mit den Bediensteten die Mahlzeiten einzunehmen. »Feine Herrschaften speisen allein. Du bist doch Bürgermeister und ich die Bürgermeisterin.«
Nicht einmal Nein hat er gesagt, nur den Kopf geschüttelt. Daraufhin ist sie in Tränen ausgebrochen und für zehn Tage
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