Riemenschneider
zu ihrer Mutter geflohen.
»Hedwig Suppan muss sich einen Scherz mit Euch erlaubt haben? Ausgerechnet Euch bringt sie solch …«, Magdalena verschwieg den wahren Vergleich, »solch einen Schmetterling ins Haus. Oder fehlt dieser alten Kupplerin inzwischen jeder Verstand?« Til hat nur dünn gelächelt. »Nur gut, dass du um mich bist. Zu zweit lässt sich meine neue Hausfrau leichter ertragen.«
Nach der Rückkehr aus Ochsenfurt stand Gretelein stets spät genug auf, um das Morgenmahl nicht mit den Gesellen, Mägden und dem Meister einzunehmen. Allein Magdalena musste mit ihr am Tisch sitzen, musste sich die Glitzerträume anhören.
»Es stimmt doch, dass morgen der tote Bischof aufgestellt wird?«
»Das Grabdenkmal von Bischof Lorenz meint Ihr? Morgen Nachmittag ist die Feier im Dom.«
Die Stirn kraust sich. »Und vorher …« Für einen Augenblick schimmert Eis im Wasserblau der Augen, gleich schmilzt es wieder. »Ist er schon fort?«
»Ich glaube, noch nicht.«
Die Herrin stößt den Hocker zurück, eilt hinaus und sieht den Gemahl über den Hof zum Torbogen schreiten. »Halt! So warte.« Sie flattert ihm nach und hält ihn auf. »Du hast dein Gretelein noch nicht begrüßt. Mutter sagt immer: Der Tag beginnt gut, wenn Eheleute sich am Morgen anlächeln.«
»Als ich aufstand, schliefst du noch. Da habe ich gelächelt.« Til schickt einen flehenden Blick zu Magdalena an der Haustür, die aber zeigt kein Mitleid, im Gegenteil: Sie nickt beifällig. »Wenn Mutter Melchinger das sagt, so muss etwas Wahres daran sein.«
Er lächelt gequält und will rasch weiter. Gretelein aber weicht nicht. »Du hast es mir versprochen. Wenn der tote Bischof bezahlt ist, bekomme ich eine Perlenkette und dazu Ohrringe aus Gold mit Perlen.«
»Ich sagte, dass ich darüber nachdenken werde …«
Gleich füllen sich die Augen, die Stimme wird noch heller. »Aber ich freue mich so darauf. Und Mutter hat schon dem Goldschmied Bescheid gegeben. Wenn ich den Schmuck jetzt nicht bekomme, dann blamieren wir uns doch in Ochsenfurt.« Gleich folgt die Drohung: »Sonst gehe ich nicht mit zu dieser Einweihung. Da langweile ich mich sowieso.«
Til löst sich. »Wir sprechen später über die Perlen.« Rasch verlässt er den Hof.
Sie stampft mit dem Fuß auf. »Und wenn ich das Geld für die Kette und die Ohrringe nicht bekomme, dann werde ich krank und fahre zu meiner Mutter.«
Für die Vereidigung des Grundmeisters hat Bürgermeister Riemenschneider auf die Einberufung aller Ratsmitglieder verzichtet. Er sitzt im Nebenzimmer des großen Saals. Zwei Ratskollegen und die Hilfskraft des Stadtschreibers sind anwesend.
Vor ihnen steht, sauber gewaschen und mit fleckenlosem Leinen angetan, der einzige Bewerber um das niedrigste Amt, das die Stadt zu vergeben hat; selbst der verachtete Knecht des Scharfrichters steht im Ansehen und der Besoldung noch eine Stufe höher als der Kloakenfeger und Hundefänger.
Zuvor haben die Ratsherren den Leumund des Mannes geprüft und keine Beanstandung gefunden. Conrad Heißenborn aus Volkach konnte wegen der Missernten in den vergangen zwei Jahren den Zehnt nicht mehr abführen, die Blutzapfen haben den Bauern gepeinigt, zerquetscht und ihm den Acker und auch die Kuh genommen. Jetzt hofft der tapfere Mann auf eine neue Chance. »Leben muss ich ja weiter«, hat er zu Protokoll gegeben.
Bürgermeister Riemenschneider mustert den Kandidaten. Bis auf zwei schwärzliche Stummel fehlt die untere Zahnreihe, die großen Brandmale auf den eingefallenen Wagen und der Stirn eitern noch, seine schwieligen Hände erzählen von harter Arbeit. Voller Mitleid muss Til sich zwingen, den förmlichen Ton zu bewahren: »Conrad Heißenborn, fühlst du dich der Anforderung des Amtes gewachsen und bist willens, den feierlichen Eid zu leisten?«
»Bestimmt. Weil ich selbst ein sauberer Mann bin, sorg ich gern dafür, dass all das Geschiss von der Straße und aus den Gruben der Sprachhäuser wegkommt. Und vor Hunden fürcht ich mich nicht, die schlag ich auch gern.« Bei jedem Zischlaut versprüht er Speichel, sodass Til den Oberkörper zurückbeugen muss. »Die Eidesformel wird dir vorgelesen, und du sprichst sie Satz für Satz nach.«
Vom Schreiber wird Conrad aufgefordert, die rechte Hand zu heben. Nach zögerlichem Beginn wird die Stimme des Kandidaten fester, die Reichweite des feuchten Bogens dafür umso größer. » … dass ich jedem, der danach fragt, sein heimliches Gemach oder sein Sprachhaus im Hof, so gut ich kann, ausräumen,
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