Riemenschneider
fegen und säubern werde. Und dies zu einer festgesetzten Zeit und um den dafür geziemenden Lohn, sodass jedermann mir vertrauen kann. Und finden ich oder meine Helfer irgendwo Silber, Silbergeschirr, Geld oder andere wertvolle Metalle, dass ich diese dem Bewohner des Hauses abgebe. Und dass wir die toten Kinder, die wir im heimlichen Gemach oder in der Sprachhausgrube finden, unverzüglich dem Bürgermeister vorzeigen.«
Heftig muss Til schlucken. Vier solcher kleinen Leichen hat ihm der Vorgänger gebracht. Ein quälender Anblick …
Das Hüsteln des Schreibers ermahnt den Bürgermeister an seine Pflicht, gleich schüttelt Til das Bild ab und gibt die Erlaubnis, mit dem Eid für das zweite Amt fortzufahren.
»… ich gelobe, die Hunde zu töten; nicht aber die jungen oder die trächtigen, sondern nur die alten, die unsauberen und die räudigen Hunde, die mir gebracht werden oder die ich auf der Straße einfange. Außerdem werde ich alle Hunde und Katzen oder andere Tiere, die tot auf der Straße liegen, wegschaffen …«
Noch ein tiefes Atemholen. »Also helfe mir Gott.«
Bürgermeister Riemenschneider beglückwünscht den neuen Grundmeister und wischt sich, kaum hat Conrad stolz den Raum verlassen, mit dem Taschentuch gründlich das Gesicht.
Samstag, der 8. Februar 1522. Nicht viele Bürger sind zur Enthüllung in den Dom gekommen, dafür der gesamte Stadtrat, alle Herren des Kapitels, angeführt vom Bevollmächtigten seiner Eminenz Fürstbischof Konrad von Thüngen, wie auch die Hirten der anderen Kirchen Würzburgs. Meister Til hat vorn in der ersten Reihe Platz genommen, neben ihm sitzt seine Gemahlin in einem grünen Traum aus Samt und Seide und wippt gelangweilt mit dem Fuß, während das Orgelbrausen den geheiligten Raum erfüllt.
Gestern, gleich nach der Vereidigung des Kloakenfegers hat Meister Til die letzten Arbeiten beim Aufbau des Grabmals bewacht. Heute Vormittag ist sein tüchtiger Steinmetz noch einmal zu seinem Baldachin hinaufgestiegen; obwohl längst gründlich gefegt und abgewaschen, wollte Peter erneut die drallen Putten, die Ähren und Früchte reinigen.
Ohne jede Anteilnahme in der Stimme zelebriert Domprediger Johann Poliander die Gedenkmesse für Bischof Lorenz von Bibra. »Requiem aeternam dona eis, Domine …« Überhastet kommt er zum Gebet: »Gib uns, Herr, dass die Seele Deines Dieners, Bischof Lorenz von Bibra …«, ein kurzes Hindeuten zum Grabdenkmal, » … den du dem mühsamen Streit dieses irdischen Lebens entzogen hast …«
Til verengt die Brauen. Sonderbar. Warum diese Eile? Poliander wird es doch nicht wagen? Nicht heute. Er ist nur aufgefordert, diese kleine Messfeier abzuhalten. Noch nicht zu Ende gedacht, da verlässt der Prediger auch schon den Altar. Das Gesicht verändert, Feuer flackert im Mienenspiel. »Brüder. Schwestern. Viele von euch leben dahin im Einerlei ihres Glaubens, wollen immer noch blind und taub sein und nicht die neuen Stimmen hören, die neue, frohe Botschaft lesen. Insbesondere wende ich mich heute an euch, meine frommen Mitbrüder: Nirgendwo in der Schrift steht geschrieben, dass Gottes Diener in Ehelosigkeit …«
Til wendet langsam den Kopf, in der Reihe hinter ihm begegnet er dem empörten Blick Martin Cronthals, gleich daneben schnauft Georg Suppan. Die Freunde denken das Gleiche: Wie kann dieser Poliander es wagen, jetzt und hier evangelisch zu predigen? Schlimmer noch: Wie kann Fürstbischof Konrad von Thüngen so nachsichtig sein und diesen Menschen immer noch hier in Würzburg dulden? Soll es denn erst so weit kommen wie mit dem letzten Domprediger, mit Paul Speratus? Ganz Würzburg musste miterleben, dass dieser schamlose Priester sich eine Ehefrau nahm, und erst dann wurde er davongejagt.
»Wir lesen in der Schrift, dass selbst Petrus verheiratet war.« Schnell wächst das Gemurmel an. »Nein, Brüder und Schwestern, empört euch nicht. Matthäus schreibt: Und Jesus kam in des Petrus Haus und sah, dass seine Schwiegermutter daniederlag und das Fieber hatte … Ja, dies sagt die Heilige Schrift. Wenn also, Brüder und Schwestern, selbst Petrus verheiratet war, warum sollen wir einfachen Gottesmänner uns nicht auch ein Weib nehmen?«
Til will aufstehen, um ihn herum aber scheint die Empörung nicht so groß, und so bleibt auch er sitzen. Dieser Luther, nicht mal vier Jahre sind es her, dass er sagte: »Zu schön. Die Heiligen versperren die klare Sicht auf Gott.« Ein Blick zum Bischof aus rotem Marmor. Statt ihm Einhalt zu gebieten,
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