Riemenschneider
hinauf zur Schulter des Nikodemus und weiter über dessen Haar und Barett zum Kreuzbalken der oberen Tafel als gedachte Spitze, und der rechte Schenkel des Dreiecks sank zurück zur knienden Maria, hin zu den Beinen des Heilands. Til runzelte die Stirn, erhob sich und betastete den Bart des Joseph. »Nicht tief genug. Die Locken muss Tobias besser ausbohren. Sonst gibt’s keinen Schatten …«
Die kleine Pforte in der Flügeltür klappte. »Ist hier schon jemand?« Magdalenas Stimme. Ehe er antworten konnte, war sie schon durch die Schnitzwerkstatt in den Saal gekommen und brachte kühle Frische von draußen mit herein. »Herr? So früh schon auf?« In ihrem Rücken erschien Rupert. »Wünsche ein …«
Gespielt ärgerlich wischte Magdalena mit der Hand nach ihrem Mann. »Sei still! Erst komme ich, dann du.« Sie ging auf Til zu. Kein Spiel. Ihr Blick umarmte ihn, streichelte seine Wange, die Lippen. »Ein gutes neues Jahr. Alles Glück dieser Welt wünsche ich Euch!«
»Danke. Ein großer Teil meines Glücks ist ja schon hier.« Gleich schloss er Rupert mit ein. »Du und dein Mann, euch beide möchte ich nie verlieren.«
Rupert kam näher und wagte sogar einen Scherz: »Sonst will die Frau immer das letzte Wort haben. Aber heute …?« Er lächelte, bis die Zahnlücke zu sehen war. »Ein gutes neues Jahr auch von mir.«
Til nickte. »Für euch auch. Bei diesen unruhigen Zeiten draußen im Land möge Gott uns vor allem Übel bewahren.«
Magdalena stand bewundernd vor dem Relief, nach einer Weile strich sie eine Haarsträhne aus der Stirn: »Eins versteh ich nicht?«
Gleich war der Meister neben ihr: »Es ist noch längst nicht fertig.«
»Das weiß ich. Aber hier …« Sie tippte auf das Barett des Nikodemus. »Wieso haben die anderen Männer ein Manteltuch auf dem Kopf oder gar nichts, und der hier trägt eine Kopfbedeckung, wie sie heute Mode ist?«
»Das ist …« Til hüstelte. »Das hat schon seinen tieferen Sinn.«
Rupert trat nah an das Relief heran. »Genau so einen Hut hab ich schon mal auf einem Altar … Der in Creglingen, der war’s. Da hat auch einer … Und ich weiß jetzt auch, wer das hier werden wird.«
»Du schweigst.« Til drohte seinem Knecht mit der Faust. »Kein Wort! Sobald ich das Gesicht herausgearbeitet habe, wird sie es wissen. Und das ist früh genug.«
Er wandte sich zum Gehen. »Und nun habe ich Hunger.«
In seinem Rücken folgten die beiden. »Nun sag schon«, flüsterte Magdalena.
Rupert zuckte mit den Schultern. »Vergessen. Ich hab’s einfach vergessen.«
Geschrei, Hornrufe, Gelächter und Fluchen seit dem Morgen. Im Lager der Schwarzwälder Bauern nahe Waldshut sammelten sich die Männer aus den Dörfern der Umgebung und des Klettgaus. Jetzt, Ende Januar, war der Schnee geschmolzen, nur an den Schattenhängen klebten noch schmutzigweiße Flecken, die Wege aber waren frei, und zum ersten Mal im neuen Jahr roch der Wald wieder nach Tanne, ein sicheres Versprechen für den nahenden Frühling.
Die Neuankommenden wurden von den Wachposten zum Fahnenwagen gewiesen. Blau und weiß flatterte das Tuch. Dort musste jeder den feierlichen Eid auf die Gemeinschaft für Evangelium und göttliches Recht leisten und schwören, dass er dem rechten, wahren Gotteswort anhängen wollte.
Und sie brachten ihre Waffen mit. Wer Büchse oder Armbrust besaß, wurde dem Schützenhaufen zugeteilt, wer Mistgabel, Sense oder gar einen Spieß über der Schulter trug, der sollte das Sturmheer verstärken. Ehe der neue Bruder aber den Mittelplatz verließ, erhielt er einen Handschlag von ihm, dem obersten Hauptmann der Schwarzwälder: Hans Müller, der Mantel in flammendem Rot, so auch sein Barett und die wippende Feder. »Sei mein Mann auf Gedeih und Verderb.«
Einer schreckte zusammen: »Meinst du, wir müssen kämpfen?«
Da packte ihn der Befehlshaber am Nacken. »Nur wenn’s gar nicht anders geht. Aber dann werden wir mit dem Schwert dreinfahren, dann lassen wir kein Schloss, kein Kloster im ganzen Land mehr stehn.«
»Gott steh mir bei. Das hab ich meinem Weib nicht gesagt. Da sollte ich noch mal fragen …«
»Freund, du hast geschworen. Da gibt’s kein Zurück.« Der mächtige Hans schüttelte den Ängstlichen. »Nur Mut! So weit ist es ja noch lange nicht. Wir ziehen morgen nach Waldshut und zeigen uns. Das wird schon genügen. Wenn der Graf erfährt, wie viele wir sind und wie stark, dann wird er sich unsere Artikel schon ansehen müssen. Und nun lauf zu deinem Fähnlein. Ich werde ein Auge auf dich
Weitere Kostenlose Bücher