Riemenschneider
an der oberen Donau, im Allgäu fanden sich empörte Bauern zusammen. Waren es gestern tausend, so waren es heute schon mehr als zehntausend und morgen … »Nicht zählbar werden die Fäuste sein, die sich recken«, versicherten die Anführer; und Prediger schürten das Feuer: »Bleibt nicht auf halbem Wege stehen, um eurer Kinder und Frauen willen. Nieder mit den gottlosen Fürsten. Denn der Herr sagt: Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert!«
Die drei Schwurgemeinschaften in Oberschwaben bildeten Ende Februar die Christliche Vereinigung, schrieben ihre Beschwerden in zwölf Artikeln nieder und rechtfertigten sich im Vorwort gegen alle Beschuldigungen: »Es sind viele Widerchristen, die jetzt wegen der versammelten Bauernschaft das Evangelium zur schmähen Ursache nehmen und behaupten: Sind dies die Früchte des neuen Evangeliums? Niemand gehorsam zu sein? An allen Orten sich empören und aufbäumen? Mit Macht sich vereinigen und zusammenrotten, um die geistlichen und weltlichen Obrigkeiten zu reformieren, auszujäten, ja, vielleicht sogar zu erschlagen? … Nein, wir Bauern wollen nur das Evangelium hören und demgemäß leben … Weil aber etliche Widerchristen und Feinde des Evangeliums gegen solches Anmuten und Begehren sich stemmen und aufbäumen, ist das Evangelium nicht die Ursache, sondern der Teufel, dieser schädlichste Feind des Evangeliums, der solches durch den Unglauben in den Seinen weckt …«
Kaum gedruckt, wirbelte ein Windstoß die zwölf Artikel von Memmingen über die deutschen Lande, und dort, wo sie aufgehoben wurden, fühlten sich die Bauern verstanden, entwarfen eigene Forderungen, fanden sich zu Bruderschaften in ihrer Gegend, und jeder Haufe fühlte sich gerufen, seine Rechte einzufordern.
Als dann mitten im März die Äbte und Grafen zur Fronarbeit riefen: »Auf unsere Äcker, ihr Faulpelze! Spannt euch vor den Pflug! Bringt die Saat aus!« Da verhallten vom Elsass bis nach Thüringen die Befehle ungehört.
»Jörg!«, schrien die Herren. »Rüste dich! Zwinge die aufrührerischen, ungehorsamen Bauern nieder.«
Und Georg Truchsess von Waldburg, der oberste Feldherr des Bundesheeres, wollte nur zu gern gehorchen. Ein Kämpfer, geübt in Schlachten und im Hinschlachten von Gegnern und Besiegten. Noch aber waren seine Truppen zu schwach. Überall flackerte Unruhe, die Brandherde konnten nicht gleichzeitig gelöscht werden. Bisher waren ihm nur Nadelstiche gelungen. Er wollte mehr, viel mehr. »Hab Geduld«, befahl sich der Ungeduldige. »Sorge, dass du genug Männer zu Fuß und zu Pferd bekommst. Sorg für ausreichend Feldschlangen, Büchsen und Pulver. Und bald wirst du diesen ganzen Stall gründlich ausmisten können.«
Was hatte sie geweckt? Die Augen noch geschlossen, tastete Magdalena behutsam neben sich. Das Kopfkissen war leer. Sie schlug die Augen auf. Im schwachen Schimmer der heruntergedrehten Öllampe erkannte sie Rupert. Er hatte sich aufgesetzt, saß regungslos da.
»Kannst du nicht schlafen?«
»Die Gedanken sind so laut«, flüsterte er vor sich hin. »Die kommen einfach daher und wühlen alles um und um.«
»Aber, Lieber, woher kommen die Gedanken?«
»Von Rothenburg her, glaub ich.«
Magdalena schob den Rücken mitsamt Kissen höher und lehnte sich an die Wand. »Was dieser Bermeter in der Stadt herumerzählt? Noch nie habe ich diesem Halunken getraut.«
»Aber das von Rothenburg stimmt. Ich hab gehört, wie es welche von der Burg oben auch gesagt haben. Und auf dem Odenwald, sagten die noch, da haben sich vorgestern, am Sonntag, auch schon die Bauern zusammengetan.« Sie streichelte seinen Rücken. »Wir sind in Würzburg, Lieber … In Sicherheit.«
Rupert drehte sich ihr zu. »Nein, du verstehst das nicht. Angst hab ich vor denen keine.«
»Aber warum kannst du dann nicht schlafen?«
Er fasste ihre Hand. »Das sind doch welche wie wir früher. Und jetzt? Keinen Zins mehr, keinen Zehnten, die wollen nicht mehr zum Frondienst raus.« Die Vorstellung entrang ihm ein Stöhnen. »Damals in Estenfeld, wenn die Nachbarn und ich nur den Mut gehabt hätten. Zusammen waren wir genug. Wenigstens die Blutzapfen hätten wir verjagt. Und meine Mädchen und die Frau …« Er sprach nicht weiter, erst nach einer Zeit setzte er hinzu. »Gewünscht hat sich das bestimmt jeder schon mal, ich mein, damals, aber gewagt … Nicht einmal drüber zu reden haben wir uns getraut. Weil eben jeder allein sich zu schwach gefühlt hat.«
Blutzapfen! Auf Magdalena
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