Riemenschneider
wieder erntete er Entrüstung. Bischof Konrad wurde informiert und erschien persönlich, um sein Entsetzen zu bekunden. »Meine Herren, Ihr seht mich zutiefst bestürzt. Uns und unserem Kapitel geschieht bitteres Unrecht. Diese Behauptungen muss ein wahrhaft böser Mensch ausgestreut haben. Selbstverständlich werde ich auf Verlangen meinen Stadthof aufschließen lassen.« Mit der rechten Hand fasste er seine linke. »An solch ein Vorgehen habe ich niemals gedacht, niemals. Ich bitte Euch, werte Herren, lasst Euch und die Stadt nicht durch solche Gerüchte zum Abfall bewegen. Bleibt meine frommen Untertanen. Und ich will jetzt und in Zukunft Euer getreuer Herr sein und Euch mit meinem Leib und Gut schirmen und schützen.«
Auf dem Weg zurück hinunter in die Stadt rieb sich Martin Cronthal die Stirn: »Unser Hoher Herr versteht die Kunst der Rede nur allzu gut.« Er sah seine Begleiter unter hochgewölbten Brauenbögen an. »Ob der Stadtrat ihm Glauben schenken soll, wage ich nicht zu empfehlen. Zu groß sind meine Zweifel inzwischen angewachsen.«
Von der Brücke bis zur Stadt hin spannten einige Bürger Ketten quer über die Straßen, selbst vor den Gassen zogen sie die eisernen Sicherungen von einer Seite zur anderen. »Gab es für diese Maßnahme eine Anordnung des Rates?«, erkundigte sich der Schreiber bei den Männern und erhielt keine Antwort, schnell und mit grimmigen Gesichtern arbeiteten sie weiter.
»Dafür blieb keine Zeit, verehrte Herren!«
Martin und die beiden Stadträte wandten sich erschrocken um. Niemand hatte den Pöbelführer, seinen Adjutanten und die anderen Kumpane kommen hören. »Wir mussten uns selbst helfen. Und mit Verlaub, wer im Stadtrat reinen Herzens ist, dem kommt diese Maßnahme auch zugute.« Bermeter lächelte gewinnend. »Und Euch, verehrter Stadtschreiber, wie auch Eure Begleiter zähle ich selbstverständlich dazu. Die Ketten müssen sein. Auf diese Weise wird kein Ritter uns überraschen, geschweige denn sich im Dunkel der Nacht heimlich im Katzenwicker einquartieren.« Er verneigte sich leicht. »Und glaubt mir, seit ich zu den Leuten spreche, haben sich mehr Freiwillige als notwendig zum Wachdienst an den Toren gemeldet. Ihr müsst zugeben, verehrter Stadtschreiber, solch einen Andrang hat es vorher noch nie gegeben.«
Martin Cronthal kämpfte mit sich, dann aber bedrängte ihn die Frage zu sehr: »Was, Bermeter, was führst du im Schilde?«
Ein schneller Griff ins halb offen stehende Wams, schon setzte er die Flöte an und tirilierte dicht vor dem Gesicht des Stadtschreibers eine kleine Melodie, brach ab und sagte mit unschuldig sanfter Stimme: »Helfen, dass alles auf den richtigen Weg kommt. Mehr nicht.«
»Und woher weißt du, welcher Weg …? Nein, heute habe ich schon genug gehört.« Durchdringend sah er Florian an. »Und du, junger Mann? Denkst du selbst? Oder folgst du nur?« Ohne die Antwort abzuwarten, grüßte Martin Cronthal mit einem knappen Wink und setzte seinen Weg fort.
Gleich nach der Rückkehr von der Ratssitzung hatte der Meister die Gesellen vorzeitig in den Feierabend geschickt. Er antwortete nicht auf Fragen, er wollte nicht reden, auch nicht mit den Söhnen. Zu genau kannten Jörg und Hans den Vater; beim Anblick der gerunzelten Stirn zogen auch sie sich schweigend aus der Werkstatt zurück.
Müde ging Til hinüber in den Steinsaal. Auf den beiden mittleren Werkbänken lagen die Hälften des Reliefs für die Kirche in Rimpar nebeneinander. Vor dem Hauptbild blieb er stehen. Gedankenverloren strich er mit den Fingerkuppen über den Unterarm des toten Heilands und ließ sie in der geöffneten Hand ruhen. Nach einer langen Zeit der Stille blickte er ins hingegebene Antlitz. »Nimm den Freund mit zu dir hinauf, Herr.« Er wandte sich an Maria, die sanft die andere Hand ihres Sohnes hielt. »Und du, schließe Georg mit in deine Trauer. Und ihr …« Sein Blick streifte die Gesichter der anderen Figuren. »Gebt auch ihr meinem Freund ein letztes Geleit, schenkt ihm einige von euren Tränen.«
Er hörte das Klappen der kleinen Pforte, nahm es aber nicht bewusst wahr, erst als Magdalena einige Schritte entfernt ruhig dastand, spürte er ihre Nähe. »Du weißt es?«
»Margaretha Cronthal hat es mir vorhin auf der Treppe gesagt, da bin ich gleich zurück. Weil ich Euch nicht alleinlassen wollte.«
»Ein schlimmer Tag war heute. All diese Unruhe. Sonst hat er jede Aufregung im Rat geliebt, sie oft sogar selbst verursacht, und nun … sie hat ihn umgebracht.«
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