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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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mit Nachdruck sein geheiligtes Reich verteidigen zu können, das genauere Hinsehen aber sagte ihm, ein viel größeres Unglück war geschehen, und er selbst hatte es verursacht. Worum es sich handelte, wusste Til nicht, aus Vorsicht aber wappnete er sich, um so gut es eben ging, jedweden Schaden einzugrenzen. »Möchtest du dich setzen?«
»Nein, ich stehe lieber.« Der mächtige Busen hob und senkte sich. »Falscher Heiliger! Du bist durchschaut. Gerade eben hat mir Hedwig die Augen geöffnet.«
»Dann sag mir, was du siehst …?« Nur keinen Scherz jetzt. Sofort berichtigte er: »Will sagen, gern möchte ich dich beruhigen, wenn ich nur wüsste, was du gehört hast. Vielleicht ist alles ein Irrtum …«
»Irrtum? Auf meine Freundin ist Verlass, sie hört und sieht alles, was in Würzburg geschieht. Du hast ein Weib beim Apotheker Wilser einquartiert. Oder willst du das etwa leugnen?«
»Das also ist es.« Mit einem Seufzer ließ er sich neben dem Schmerzensmann auf der Werkbank nieder. So sehr hatte er für Magdalena gehofft, ihr Umzug in die Stadt möge noch eine Weile verborgen bleiben, in aller Stille und Ruhe sollte sie sich neu zurechtfinden lernen. »Und wer, glaubt Frau Suppan, ist diese Frau?«
»Das wollte sie von mir wissen.«
»Und du …?«
»Nein, Riemenschneider. Ich habe es ihr nicht gesagt, weil ich mich schäme …«, das Selbstmitleid ließ die Tränen fließen, » … so furchtbar schäme. Ach, Mann, du hast unser Leben verdorben.«
Kurz schlug Til die flache Hand auf den Holzbalken. »Übertreib nicht, Liebste. Magdalena brauchte meine Hilfe. Ihr Mann ist plötzlich verstorben, sie wusste nicht mehr, wohin, und so habe ich dieser armen Frau eine neue Bleibe verschafft. Sie wird als Magd beim Apotheker arbeiten und sich außerdem mit Flicken von Kleidern etwas Zubrot verdienen. Mehr gibt es nicht zu sagen.«
Aus der Tiefe des Unglücks fuhr Anna empor. »Mehr nicht? Du führst dich auf wie ein Zuchtbulle und verlangst von mir, dass ich Verständnis zeige?« Sie stemmte die Fäuste in die ausladenden Seiten. »Arme Frau? Du hast sie dick gemacht. Hier in dieser Werkstatt hast du ihr ein Kind angesetzt.« Die Stimme erreichte den Gipfel. »O welch eine Sünde! Und das inmitten all der Heiligen figuren!«
»Schweig!« Til war aufgesprungen, ertappte sich, dass er den Arm erhoben hatte, und ließ ihn sinken, ballte eine Faust und schlug sich bei jedem Wort gegen die Brust. »Ich habe mich nicht an Magdalena versündigt.«
Anna nutzte seinen schwachen Moment. »Du lügst. Hedwig hat das Weib gesehen, und sie kennt sich aus bei drei eigenen Kindern. Vielleicht noch etwas mehr als einen Monat gibt sie dieser Hure.« Die Zunge wurde zum Henkersschwert. »Du bist überführt, Riemenschneider. Damals war es Anfang Mai, und ich kann rechnen.«
Til schwieg, er sah den Hoffnungsschimmer in Magdalenas Augen, als sie die spärlich eingerichtete Dachkammer betrat, hörte ihre Stimme: »Danke, Herr. Ich weiß gar nicht, wie ich Euch danken soll.«
»Sei ganz unbesorgt. Du bist mir gegenüber zu nichts verpflichtet.« Er hatte das Lächeln erwidert und war gegangen.
Til blickte seine Gemahlin ernst an. »Keine Lüge. Du musst mir glauben, wie sollen wir sonst weiter miteinander auskommen?«
Die gefurchte Stirn, auch sein Ton erschreckte sie. »Ich will dir ja glauben, aber woher weiß ich denn …«
»Du kannst rechnen«, unterbrach er sie schroff. »Nun gut. Magdalena hat mir Anfang Mai hier Modell gestanden. Zähl neun Monate weiter. Wenn sie später als Februar das Kind zur Welt bringt, kann es nicht von mir sein.«
»Und wenn es doch so früh kommt?«
Nur mühsam unterdrückte er den Ärger. »Es wird nicht so sein, Liebste.«
»Nenn mich nicht Liebste.« Eine halbe Drehung wandte sie sich von ihm ab und sprach über die Schulter das Urteil: »Ich werde mich dir verweigern, Mann, Nacht für Nacht, bis der Februar verstrichen ist. Danach werden wir sehen.« Kurzatmig schritt Anna davon. Nach einer Weile hört er, wie die Pforte in der Flügeltür mit heftigem Knall zuschlug.
    Nur nicht hinfallen. Magdalena ging vorsichtig durch die enge Gasse in Richtung Markt hinunter, achtete auf jede Vertiefung und wich den von Hundekot glitschigen Pflastersteinen aus. Mit meinem dicken Bauch vornweg, mit Korb und Kupferkessel an den Seiten, komme ich mir vor wie ein Lastkahn auf dem Main.
»Oje …« Überrascht blieb sie stehen, musste schneller atmen; kein richtiger Schmerz, eher ein wehes Ziehen im Unterleib. Magdalena

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