Riemenschneider
dem kalten Wetter so schöne Fäustlinge hätten.«
»Aber wie soll ich denn damit die Geschenke annehmen? Und wenn sie mir hinfallen, steckt ein anderes Kind sie in den Sack. Und ich hab gar nichts.«
»Du brauchst auch nichts von den Nachbarn. Diese Bettelei an den Türen vor Weihnachten missfällt mir ohnehin.« Weil sich die Augen des Mädchens weiteten, setzte sie sanft hinzu: »Da schau in die Schüsseln auf dem Tisch. Du kannst Äpfel, Nüsse und sogar vom Marzipan haben, so viel du möchtest. Deshalb finde ich es besser …«
»Nein, bitte nicht.« Flehend hob Gertrud die Hände. »Nicht verbieten, Mama. Heute ist doch die dritte Klöpfleinsnacht. Da gehen alle Kinder sammeln.«
Vom Hof her drangen helle Stimmen herein. Gleich wurde die Not größer. »Sie sind schon da und wollen mich abholen. Bitte, Mama. Ich zieh auch die Handschuhe an.«
Noch eine Weile zögerte Anna das so oft erprobte mütterliche Spiel hinaus und ließ die Angst des Kindes anwachsen, dann zeigte sie sich gnädig, willigte ein und genoss sichtlich die Küsse und Liebesbeteuerungen. »Nun trödle nicht, meine Prinzessin.« Umsichtig stattete sie ihre Tochter mit dem kleinen Holzhammer und einem Leinenbeutel aus. Kaum war die Haustür geöffnet, floh Gertrud von der Seite der Mutter in die Sicherheit der gleichaltrigen Freundinnen und Spielkameraden, auf die letzten Ermahnungen hörte sie schon nicht mehr.
Aus der Kinderschar löste sich eine hochgewachsene Frau im langen Mantel und eilte zu Anna hinüber. »Länger als zwei Stunden wird es nicht dauern.«
An diesem letzten Donnerstag vor Weihnachten hatte sich Hedwig Suppan, die Gemahlin des obersten Bürgermeisters, bereit erklärt, die jüngeren Kinder aus dem Freundeskreis von Haus zu Haus zu begleiten. »Ehe es richtig dunkel ist, hast du deine Kleine wieder.« Eine pelzbesetzte Haube verbarg das Haar, und das festgesteckte Halstuch ließ ihr energisches Kinn noch deutlicher vorragen. Hedwig blieb vor der Frau des Meisters stehen. »Wollt dich schnell noch was fragen.« Ein kurzer Blick an Anna vorbei. »Ganz im Vertrauen.« Niemand lauschte im Flur. »Wen hat dein Mann beim Apotheker Wilser untergebracht? Woher kommt diese Magd?«
Ein Beben ging durch Anna. »Was sagst du?«
»Ach, meine Gute, ich wusste nicht, dass du gar nichts davon weißt.«
»Nein, o heilige Maria, nein.«
Hedwig schob das Gesicht vor. Anna neigte das Ohr, und während die hastig gewisperte Neuigkeit wie Gift hineinträufelte, verloren ihre Wangen an Farbe, wurden blass und fahl.
Als die Gemahlin des obersten Bürgermeisters geendet hatte, sich mit einem aufmunternden Wort verabschiedete und die Kinder zur Klöpfleinsnacht fortführte, blieb Anna schwer atmend an der Schwelle ihres Hauses zurück. Erst nach einer Weile wandte sie den Kopf. Lichtschimmer fiel durch die Fenster der Werkstatt nach draußen. »Mein Ewald, warum bist du nur so früh von mir gegangen?«, klagte sie. »Und hast mich diesem Unhold ausgeliefert? Warum nur?« Anna begab sich auf den Weg, in der Mitte des Hofes kehrte ihre Kraft zurück, und vor dem Querhaus belebte Zorn den Leib. Mit Wucht stieß sie die kleine Pforte in der Flügeltür auf.
Wie jeden Abend nach Arbeitsschluss waren die Gesellen damit beschäftigt, den Boden zu fegen und die Werkstatt aufzuräumen. »Schluss für heute!« Der Finger wies zum Ausgang. »Wascht euch und wartet oben in der Kammer. Sobald das Essen fertig ist, lass ich euch rufen. Geht. Nun geht schon!«
Keine Widerworte. Die beiden jungen Männer spürten, wie nahe ein Ausbruch bevorstand. Rasch schippten sie den letzten Haufen Späne in die Kiste, hängten Besen und Schaufeln zu den Werkzeugen an die Wand.
Kaum sah Anna, dass ihrem Befehl Folge geleistet wurde, rückte sie gewichtigen Schritts zur Steinhalle vor. Hier war Tobias mit dem Lehrjungen dabei, Ordnung und Sauberkeit für den nächsten Tag zu schaffen. Noch ganz in sein Werk vertieft, stand Meister Til über den leidenden Christus gebeugt, sorgsam maß er die Breite des Brustkorbs und verglich sie mit der Skizze. »Lasst uns allein!«
Er nahm die Anweisung nicht wahr, bemerkte auch nicht, wie Anna seine Gehilfen vor sich her in Richtung Flügeltor trieb und zurückkehrte.
»Riemenschneider! Ich habe mit dir zu reden.«
Verwirrt wandte er sich um und ehe er zu Wort kam, schnappte sie: »Am besten du gestehst sofort.«
»Was soll ich?« Er zog die Brauen hoch. Keine Störung bei der Arbeit. Beim ersten Blick in die Augen der Gemahlin glaubte er,
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