Riemenschneider
zu: »Wieso … Wieso bleibst du nicht bei den anderen?« Sie ballte die Fäuste vor ihrem Mund, war wieder ruhiger. »Verflucht, Mann. Ich habe mir Sorgen gemacht.«
Rupert strich ihr behutsam über den Oberarm. »Bin ja jetzt da.«
Hinter ihnen räusperte sich Til, dennoch blieb seine Stimme belegt: »Ehe wir nun ins Haus gehen, sollten wir danken. In seiner Barmherzigkeit hat Gott uns bewahrt.« Er führte die Fingerkuppen zur Stirn. »Im Namen des Vaters …« Und leise fielen alle mit ein.
Später, erst oben in der Kammer, berichtete Rupert ihr von seiner Mithilfe an den städtischen Geschützen.
Magdalena fasste es nicht, musste sich setzen. »Aber sie haben doch genau dorthin gefeuert? Die von der Burg. Und du …?«
»Kugeln hab ich rangeschleppt und ins Rohr getan, mehr nicht. Ich war immer hinter den Schanzkörben.« »Aber wieso? Wer hat dich dazu gezwungen?«
»Niemand. Freiwillig sollte ich mitgehen.« In sonderbarer Entschlossenheit griff Rupert nach der Schere und schnitt über seinem Ohr große Haarbüschel ab. »Der Hans Bermeter kam und hat nach Männern gerufen. Die Stadt sollten wir verteidigen. Und weil das sicher gut ist, bin ich mit.«
»Großer Gott. Mann, nichts ist gut daran …« Sie unterbrach sich, zeigte auf seinen Kopf. »Verflucht, was tust du da?«
»Den Schädel scheren.« Rupert schmunzelte über ihr verständnisloses Gesicht. »So passt der Helm besser. Die andern scheren sich auch den Kopf. Für morgen.«
»Was ist morgen?«
Keine Antwort, ruhig schnitt Rupert weiter.
»Sag es mir!«
Er seufzte, legte die Hand mit der Schere auf sein Knie. »Immer hab ich in den letzten Wochen gedacht, ich muss auch was tun. Für meine Frau und die Mädchen, auch für deinen Jakob. Aber so wie die Bauern da draußen sind, so wollt ich nicht sein. Nicht so.« Rupert wagte, ihr in die Augen zu sehen. »Aber heute, weil Not über uns und die ganze Stadt gekommen ist. Da hab ich gern geholfen. Und morgen Nacht wollen sie rauf auf den Berg, auch viele von den Bürgern. Und da geh ich mit. Und deshalb müssen die Haare runter.«
»Nein!« Magdalena sprang auf und riss ihm die Schere aus der Hand. »Du gehst nicht. Einen Mann hab ich schon verloren, der Kummer reicht mir. Du bleibst, und wenn ich dich … und wenn … Ganz egal, du bleibst.«
»Aber versteh doch!«
»Nichts will ich verstehen.« Sie rannte zum Fenster, starrte hinaus, kehrte gefasster zurück. »Bitte hör auf mich! Du weißt, wie Holz gesägt wird, weißt, wie Steine aus dem Bruch geholt werden, so schön hast du den Weinberg neu angelegt, alles hier im Haus kannst du richten, aber vom Kriegshandwerk versteht du nichts.«
Er rieb die Narbe an seinem Hals. »Die anderen sind auch nicht geübt.«
»Das ist es ja. Und überhaupt sollten die Bürger sich ganz raushalten. Frag den Herrn. Keiner muss mit den Bauern gegen den Berg anrennen. Bitte, Lieber!« So behutsam wie eine Wunde berührte sie die kahle Stelle über dem Ohr. »Was heute war, ist genug. Schneid nicht noch mehr ab.«
30
S eit dem frühen Montagmorgen hatte es immer wieder geregnet, leichte warme Maischauer gingen nieder, gegen Mittag dann klarte der Himmel auf. »Seht doch! Da, ein Regenbogen.« Die Bürger blieben auf den Straßen stehen, zeigten hinauf zum Marienberg. Das majestätische Farbenspiel wuchs aus den Hügeln im Norden, spannte seinen Bogen hoch übers Schloss und neigte sich nieder in den südlichen Anhöhen.
»Wir sind verloren«, flüsterten Wächter oben auf den Wehrtürmen. »Das ist das Zeichen. Den Bauern entkommen wir nicht. Sie werden uns fangen und erschlagen.«
»Was redet ihr da?«, wehrten sich andere und versuchten ihre Angst abzuschütteln. »Das ist ein gutes Zeichen. Hört ihr? Der Regenbogen beschützt uns. Nichts, gar nichts kann uns jetzt der Feind mehr anhaben.«
Angetrunkene Bauern kamen nachmittags von der anderen Mainseite, schwärmten in die Stadt und kehrten mit Leitern und Fackeln, Wurfhaken und Äxten, mit allem, was für einen Sturm nötig war, zurück und schafften es, gedeckt von der Steinbrücke, über die Flöße nach St. Burkard hinüber.
Im Grünen Baum saß Ritter Götz von Berlichingen, sein Knappe hatte ihm das gebratene Huhn in Happen zerkleinert, und während Flügel-, Bein- und Bruststücke von der Messerspitze im ritterlichen Mund verschwanden, musste ihm Sinterius von der Lage draußen berichten. Als der Schreiber geendet hatte, spülte Götz einen Becher Wein nach, schwieg einige Zeit, schließlich rülpste er
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