Riemenschneider
hinführen. »Das ist Magdalena …«
»Hab ich diese Frauensperson nicht schon mal gesehen?«, unterbrach ihn Anna gleich und verschränkte die Arme unter dem Busen. »Richtig. Ein paar Wochen ist es her. Vor der Marienkapelle.« Der Blick wurde zur langen Nadel. »Eine der mittellosen Wöchnerinnen. Du bist ein Bettelweib? Nein? Du schüttelst den Kopf. Dann bist du also eine Betrügerin, die sich den Bettelausweis erschlichen hat. Oder?« Sie wandte sich an ihn. »Liebster, wo hast du diese Person aufgetrieben?«
»Genug, Frau.« Til baute sich zur vollen Größe auf. »Darf ich dich daran erinnern, dass Magdalena mein Modell für die Eva war. Ist dir entfallen, bei wem sie arbeitet …?« Die Stimme nahm an Drohung zu. »Und hast du wirklich vergessen, warum ich sie heute hergebeten habe?«
Anna krallte die Hände in den Stoff ihres Kleides. »Ich wünsche gutes Gelingen.« Sie wandte sich um, wollte wortlos gehen, es glückte ihr nicht, so gab sie ihm über die Schulter noch einen Rat: »Achte nachher auf deinen Geldbeutel, Liebster. Lass ihn nicht offen in der Werkstatt liegen.« Die Tür fiel zu.
»Ich möchte gehen.« Tränen standen Magdalena in den Augen. »Eure Gemahlin will nicht, dass wir hier sind. Sie … sie verachtet mich.«
»Aber nein, das verstehst du falsch.« Ungelenk breitete der große Mann seine Arme aus, als wollte er sie vor dem Wohnhaus abschirmen. »Anna ist eine gute Frau, sie kann sogar herzlich sein. Nur bei dir ist sie seit der Eva etwas … sagen wir ungehalten. Bitte, nimm dir, was gesagt wurde, nicht zu Herzen, vergiss es einfach!«
»Eifersucht?« Unter dem Tränenflor wachte ein neuer Blick auf. »Ihr glaubt, sie ist eifersüchtig auf mich?«
Gleich sah er zum Fenster über der Bank. Die Belüftungsscheibe war nicht ausgestellt. »So würde ich es nicht direkt ausdrücken.«
Ehe ihn eine weitere Frage womöglich in Verlegenheit bringen konnte, war er zur Werkstatt hinübergegangen, und ohne Zögern hatte Magdalena mit Florian auf dem Arm hinter ihm Schritt gehalten.
Til tunkte den Pinsel ein. Wie versprochen hatte er Maria ein anderes Gesicht gegeben. »Aber es sind deine Haare«, murmelte er, während er unter der Krone den Fall der Locken prüfte und mit dem Fingernagel noch kleine Schnitzreste beseitigte.
Aus dem Handgelenk führte er den Pinsel, ließ ihn weich den Schwüngen nach unten folgen. Kein Gegenstrich, immer wieder setzte er oben an, und doch entstand kein Wulst, keine Naht. Er hielt den stetigen Rhythmus ein, dass die Lasur ineinanderfließen konnte. Nach Haar und Schleier bearbeitete er den vor dem Kleid gerafften Umhang mit seinen ausgeprägten Faltenwürfen; sie fielen über das linke Knie und reichten hinunter bis zum Fuß auf der Mondsichel.
»Das ist doch nur ein Holzklotz«, hatte sich Magdalena gewundert und gezögert, Zehen und Ballen auf das flache Stück zu setzen.
»Auch wenn du sie noch nicht siehst, hier wird die Mondsichel liegen. Bitte heb das linke Bein leicht an und lass mich den Fuß führen. Vertrau mir!«
Til war in die Hocke gegangen. Er hielt ihr die geöffnete Hand hin.
»So gern will ich Euch vertrauen. Aber bei Eurem Besuch wart Ihr so kalt, so fremd und abweisend.«
Er sah zu ihr hoch. Seine Augen verdunkelten sich. »Ich musste mich so verhalten. Sonst wärst du heute nicht hier.« Magdalena krauste die Nase; ehe sie fragen konnte, gestand er mit einem Anflug von Schmunzeln: »Was sollte ich denn tun? Dort in der schrecklichen Wohnstube und im Beisein der Apothekersfrau hätte ich dich nie zeichnen können. Also musste ich dafür sorgen, dass du zu mir kommst. Und zwar ohne Heimlichkeit und ohne den Damen neuen Stoff für Klatsch zu liefern.«
Magdalena seufzte auf und setzte wortlos den nackten Fuß in seine Hand.
Es war keine Absicht, aber er schloss die Finger um ihren Spann und drückte ihn behutsam. Eine Welle trieb jäh das Blut, trocknete den Mund aus, seine Stimme war ihm fremd: »Wenn ich dich bitten würde, könntest du auch herkommen, allein und ohne den Jungen?« Seine Hand wagte sich über den Knöchel hinaus. »Nur zu mir?«
»Herr?« Sie hatte zu ihm hinuntergesehen. »Wollt Ihr denn, dass ich bleibe? Ich meine, ich? Oder meint Ihr die Eva?«
»Als Mann frage ich nach dir, der Bildschnitzer will die Eva.«
»So schön, wenn Ihr mich fragt, Herr. Aber ich werde warten, bis beide mich wollen.«
Der Augenblick war vorüber, das Versteck der Gedanken hatte sich wieder geschlossen, und er hatte ihren Fuß auf dem Holz in
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