Riemenschneider
Position gebracht.
Noch heute fühlte Til die Wärme ihrer Haut. Bei der Erinnerung begann er zu summen, während er mit großer Sorgfalt die unter dem Stoffsaum hervorschauenden Zehen und die Mondsichel bestrich.
Noch ein prüfender Blick über Kind und Mutter, den aufwändigen Faltenwurf, die Frontseite der Statue war lasiert. Til legte den Pinsel auf ein Tuch, griff mit der linken Hand hinter die Stirndocke der Rahmenbank und lockerte den Keil. Er drehte die Figur auf die Seite und befestigte sie wieder.
Ein leichter, hastiger Schlag gegen das Holz der Flügeltür. Ungehalten wandte er den Kopf. Die Pforte wurde aufgedrückt, Gertrud stolperte herein. »Vater! Die Mama …«
»Mein Engel, du weißt, ich darf nicht gestört werden.« Til strich am Topfrand die überflüssige Lasur vom Pinsel und arbeitete weiter.
Das Mädchen zögerte, wagte sich dann doch in ratloser Not zur Werkbank hin. »Vater, bitte sei nicht bös. Aber die Mama … Sie jammert.«
»Was sagt sie denn?«
»Erst hat sie gar nichts gesagt, nur so ganz leise gejammert. Die Teigschüssel hat sie weggestellt und dann der Magd gesagt: ›Rühr du weiter!‹ Und dann ist sie in die Stube, ganz langsam, und immer wieder hat sie sich zusammengekrümmt.«
Ohne den stetigen Bewegungsfluss zu unterbrechen, erkundigte er sich: »Wo ist die Mutter jetzt?«
»Sie sitzt im Lehnstuhl.« Etwas von der Ruhe des Vaters übertrug sich auf das Kind. »Weil noch nicht Abendbrotzeit ist und die Brüder noch nicht da sind, auch keiner von den Gesellen, da hat sie mich zu dir geschickt, damit du helfen kommst.«
»Ich kann jetzt nicht unterbrechen.« Nur kurz sah Til zur Seite. »Bestell ihr, sobald die Lasur aufgetragen ist, komme ich ins Wohnhaus.«
Getröstet nickte Gertrud und lief wieder hinaus.
Sein Blick verdüsterte sich. Wieder eine vorgegaukelte Krankheit. Und das nur, weil Magdalena für die Madonna Modell gestanden hat. Bei der Enthüllung von Adam und Eva war es das gleiche Spiel. Aber nicht mit mir. Sie muss endlich lernen, dass mich ihre Anfälle nicht länger beeindrucken.
Nur schwer, erst während er auf der Rückseite die Schleierfalten versiegelte, fand er zur Gleichmäßigkeit des Strichs zurück.
Wieder Geräusche an der Flügeltür, zaghaft schob Gertrud die Pforte auf. Ihr Gesicht war verweint. »Vater?« Sie bemühte sich, leise zu gehen, aus lauter Vorsicht wackelte sie hin und her. »Vater …«
Die schwache Stimme nahm seinem Ärger den Stachel. »Aber, Kind, was gibt es denn schon wieder? Sind etwa die Küchlein verbrannt?«
Kopfschütteln, die Zöpfe baumelten. »Eins hab ich gerade gegessen, da hat die Mama gerufen, nicht richtig, so laut aufgerufen hat sie. Ich bin schnell zu ihr in die Wohnstube. Und da …« Gertrud drängte sich zu ihm; ohne die Arbeit zu behindern, schmiegte sie die Wange an seinen Oberschenkel. »Die Mama hat ganz schrecklich gestöhnt. Und gesagt, ich soll dir sagen, dass ihr so elend ist.«
»Bleib nur hier, ich bin gleich fertig. Dann sehen wir beide nach der Mama.« Er lasierte den Sockel zu Ende, stellte den Pinsel in einem Wasserbecher ab und drehte die Statue wieder mit der Frontseite nach oben. Solange die klebrige Schicht noch nicht getrocknet war, hätten jetzt die gestifteten Perlen und Edelsteine an der Innenseite des Gewandes eingelassen werden müssen, doch der Meister war nun bereit, zu unterbrechen und sich den Pflichten des Familienvaters zu widmen. Morgen würde er die vorgebohrten Stecklöcher auskratzen, neu mit Klebstoff versehen und den wertvollen Schmuck anbringen.
»Soll ich dich tragen?«
Die hochgestreckten Hände waren Bitte genug. Mit Schwung nahm er das Mädchen und setzte es auf seinen angewinkelten rechten Arm. Noch ein Blick zur Statue. Mutter und Sohn. Vater und Tochter. Ein verkehrter Spiegel. Der Vergleich drängte sich einfach auf und erheiterte ihn. Leichten Schritts verließ er die Werkstatt.
Soeben kehrte das Fuhrwerk vom Holzlager zurück, rollte durchs Tor.
»Ladet die Baumstücke unter dem Vordach ab!«, rief er Tobias und den beiden anderen Gesellen entgegen. »Aber vorsichtig. Ich will keine Stoßkanten!«
An der Türzum Wohnhaus drehte er sich noch einmal zu den Burschen um. »Bis morgen früh betritt mir keiner die Werkstatt! Hört ihr?«
Tobias winkte mit der Hand und zog den Ochsen am Maulriemen weiter.
Leises Klappern von der Küche her, sonst lastete Stille im Halbdunkel des Flurs. Die Tür zur Wohnstube stand offen. Gleich beim Betreten schlug Til ein säuerlicher
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