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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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Geruch entgegen.
Anna ruhte im Stuhl, das Gesicht zum Fenster gewandt lag ihr Kopf an der hohen Lehne. Ohne den Blick von ihr zu lassen, setzte Til das Mädchen ab. »Lauf in die Küche!«, flüsterte er. »Ich rufe, wenn ich dich brauche.«
Gertrud gehorchte, auf Zehenspitzen huschte sie davon.
Ein Schritt vor dem Sessel blieb er stehen. Sie hatte die Augen geschlossen, rasselnd ging der Atem, das Kinn und der Kleidstoff über dem mächtigen Busen waren mit Erbrochenem besudelt. »Schläfst du?«
Als Antwort entrang sich ihr ein Stöhnen, langsam öffneten sich die Lider. »Du bist da. Und ich hatte solche Angst, dass … dass du mich alleine lässt.«
»Möchtest du Wasser? Oder besser etwas Wein, der hilft und belebt.«
»Nein, lass. Mir ist nur so elend. Und so eng.« Sie tastete nach seinem Arm. »Vorhin kam ein Schmerz wie ein langer Stich. Glaub mir!«
Er tätschelte ihre Wange. »Du solltest dich hinlegen, dann wird es ganz sicher bald wieder besser. Möchtest du nach oben in unser Bett? Kannst du die Treppe steigen?«
»Vielleicht. Du musst mir helfen.«
»Nur Mut.« Til streckte ihr beide geöffneten Hände hin. »Ich stütze dich.«
Mit großer Kraftanstrengung gelang es ihr, den Oberkörper aufzurichten. »Du siehst, ich schaffe es.« Anna lächelte schwach zu ihm hoch. Ihre Augen weiteten sich, Angst wuchs, ein Vorwurf kam hinzu, die Lippen bebten, sie rang nach Luft. »Ach, Riemenschneider«, seufzte sie, kippte langsam nach vorn und fiel mit dem Gesicht in seine Handflächen.
»Du bist doch zu geschwächt, Liebste. Besser, ich bereite dir gleich hier ein Lager.« Til spürte, wie das Gewicht zunahm, der massige Körper erschlaffte. Entschlossen und doch so behutsam wie möglich, schob er Anna zurück in den Stuhl, sorgte, dass der Kopf an der Lehne lag. Er strich ihr die Haarsträhnen aus der Stirn. »Oder soll ich eine Magd nach dem Arzt schicken? Morgen wird es …« Er stockte, hörte seine Stimme wie in einem hohlen Gang verhallen und begriff.
Anna sah ihn an, ihr Licht war gebrochen, nur der Vorwurf im Blick war geblieben.
So weit lag der Tag zurück. Auch die erst vor wenigen Stunden beendete Arbeit in der Werkstatt schien unendlich lange her zu sein. Spät am Abend stand Til draußen vor dem Wohngebäude; die Hände verschränkt starrte er in die Düsternis. Leise und doch schmerzend klar drang der immer wiederkehrende Singsang der Klageweiber nach draußen. »Misere mei, Deus, secundum misericordiam tuam …«
Der Tod hatte im Hof zum Wolfmannsziechlein die Zeit angehalten und sie nach lähmendem Nichts jäh neu beginnen lassen.
»Die Herrin ist gestorben.«
Weinen in der Küche, lautes Jammern unten im Brunnenkeller beim Wasserholen. Eine Magd musste den Doktor rufen, die andere den Pfarrer.
»Mutter ist tot.« Wie ein Schlag traf es die drei Söhne bei ihrer Heimkehr.
Der Stadtphysikus beugte sich über die Reglose, tastete nach dem Puls, hielt Anna den Silberspiegel an Mund und Nase, kein Hauch zeigte sich mehr. »Wird wohl das Herz gewesen sein.« Fest drückte er dem Bildschnitzer die Hand. »Mein Beileid.« Und während er bereits wieder hinausging, setzte er hinzu: »Ich werde alles Nötige veranlassen und die Frauen benachrichtigen.«
Vom Franziskanerkloster eilte der Seelsorger herbei. Nach einem Augenblick der gemeinsamen Sammlung spendete er Anna die Letzte Ölung. Er bat den himmlischen Vater um ewige Ruhe für die Verstorbene, dass ewiges Licht für sie leuchten möge, und wusste einige Worte des Trostes und versprach, noch einmal wiederzukommen, wenn der Leichnam hergerichtet und aufgebahrt sei.
Eine Matratze und weißes Linnen. Die Mägde waren zu schwach, Til musste zugreifen, und gemeinsam legten sie den schweren Körper nieder. »Und nun?« Er hatte dagestanden, ratlos die Stirn gerieben. »Kennt ihr euch aus?«
»Die Herrin muss gewaschen werden«, flüsterte seine Erste Magd und sah ihn an.
Als Til diesen auffordernden Blick begriff, schüttelte er den Kopf. »Dafür bin ich zu schwach. Nein, ich meine, nie habe ich das getan.« Die Unsicherheit nahm zu, wie ertappt glaubte er sich weiter verteidigen zu müssen. »Ihr versteht doch? Ich bin ein Mann und solche Arbeit …« Dann erinnerte er sich seiner Stellung. »Es ist eure Aufgabe.«
Beide Mägde senkten die Augen und rührten sich nicht. »Ich bitte euch …«
Gesang, leiser Sprechgesang näherte sich vom Flur her, Hedwig Suppan betrat den Raum, schwarz das Gewand, die enge schwarze Haube tief in der Stirn, vier gleich

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