Riemenschneider
Ton. Wie tapfer du bist, dachte Til voller Wärme, du versuchst deinen Kummer zu überspielen. »Vor mir musst du dich nicht verstecken. Fehlen wird deine Mutter, dir, den Geschwistern und mir.«
»Ja, ganz sicher. Aber das meine ich nicht.« Georg ließ sich einen Atemzug lang Zeit. »Ich denke an unser Erbe. Schließlich sind meine Brüder und ich nicht deine leiblichen Kinder. Und von einem Testament weiß ich nichts. Nicht dass ich mir Sorgen mache, aber drüber nachdenken muss ich als Ältester schon. Jetzt, da Mutter tot ist. Das verstehst du doch? Oder?«
»Du …« Til zog die Hand von der Schulter des Sohnes und ballte sie zur Faust. »Du wagst es?« Zorn wallte in ihm auf, er musste sich zwingen, nicht loszuschreien. »Dort … dort in der Stube liegt deine Mutter. Ihr Körper ist noch warm, und du schacherst jetzt schon um das Erbe. Schämen sollst du dich. O Junge.« Um ihn nicht zu schlagen, rieb er die gespannten Fingerknöchel an seinem Kinn. »Zum ersten Mal bin ich froh, nicht dein Vater zu sein. Aber sei beruhigt, du und deine Brüder, ihr werdet nicht zu kurz kommen. Und jetzt geh. Lass mich allein, denn ich will um deine Mutter trauern, jetzt mehr noch als zuvor.«
9
D ampf füllte die Waschküche unten im Apothekerhaus, nässte Decke und Wände und immer neuer quoll aus der siedenden Seifenlauge. Trotz Kopftuch sickerte er ins Haar, tropfte von Stirn und Nase; obwohl die Kellertür zum Garten offenstand, nahm er den Atem, roch und schmeckte nach Talk und ätzendem Natron.
Magdalena kümmerte es nicht, sie beugte sich über den im gemauerten Herd eingelassenen Kupferkessel, mit beiden Händen umklammerte sie den großen Holzbleuel und rührte. Das dünne, feuchte Leinen ihres Kittels klebte an den Brüsten, am ganzen Leib, sie keuchte, hustete; war sonst der Waschtag ein gefürchteter, kraftzehrender Tag, heute wollte, brauchte sie ihn, weil diese Anstrengung ihrem Herzen half, nicht zu zerspringen.
»Das Essen wird immer schlechter.« Sie äffte den bedauernden Klageton in der Stimme des Meisters nach. »Die Kinder und ich brauchen gute Mahlzeiten.« Heftiger rührte sie in den Wäschestücken, hievte Hemden und Bettbezüge mit dem Holzlöffel hoch und klatschte sie zurück. »Es ist schädlich, nur mit Dienstmägden zu haushalten. Und deshalb …« Magdalena brach ab, zitierte ihn nicht weiter, ließ dafür der Empörung freien Lauf: »Das sagt er einfach so bei Tisch und guckt keinen von uns an, guckt aufs Kreuz an der Wand. Aber ich weiß genau, dass er damit mich gemeint hat.« Die Lauge spritzte bei jedem Schlag, schwappte über den Kesselrand. »Dabei hab ich gar nicht gekocht. Seit seine Frau auf dem Kirchhof liegt, komme ich zweimal die Woche in die Franziskanergasse und flicke die Kleider. Kochen tun die anderen, nicht ich. Und geschmeckt hat es auch.« Sie griff zur Bürste, schnappte ein Unterkleid der Herrin und bearbeitete es mit harten Strichen. »Bin nur froh, dass ich nicht unter seinem Dach wohne. Hier in meiner Kammer hab ich wenigstens Ruhe und Frieden.«
Einen Monat nach dem Tod Annas, kurz vor Weihnachten, hatte Meister Til ihr angeboten, im Hof Wolfmannsziechlein hin und wieder auszuhelfen. »Seit die Frau nicht mehr ist, schaffen es die vier Mägde nicht allein.«
»Aber was sagt meine Herrin …?«
»Sorge dich nicht. Ich werde mit ihr schon einig werden. Willst du?«
Und weil die Bitte im Blick der braunen Augen noch inständiger war als seine Worte, hatte Magdalena eingewilligt. Des Morgens brachte sie ihren Sohn mit, und während Florian in dem eigens vom Meister hergestellten und mit Enten und Lämmern verzierten Laufstall schlief und spielte, besserte Magdalena zerschlissene Kleidungsstücke aus, zupfte den Rocken und verspann Schafwolle zu dicken Knäueln oder ordnete die Wäschetruhen. Ihr Glück war es, wenn sie am späten Nachmittag an der Pforte zur Werkstatt klopfte, ihm das Lebewohl durch einen Spalt zurief und Meister Til sie hereinbat.
»Wirf einen Blick auf den Schmerzensmann. Was denkst du?«
Nach langem Betrachten wagte sie zu fragen: »Hat der Heiland denn noch Schmerzen?« Sofort war Til neben ihr. »Die Körperhaltung zeigt es, auch die Hand, die er sich auf den Leib presst.«
»Verzeiht, Herr, die Wunden sind da. Nur sein Gesicht ist so … Ich mein, er guckt traurig, aber so, als hätte er sich mit dem Leid abgefunden.«
»Ist das dein Eindruck?« Er hob die Brauen.
Tapfer nickte sie. »Ihr habt mich gefragt, und ich kann’s eben nur so
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