Riemenschneider
neuen Herrscher hinauf zum Schloss über der Stadt.
Florenz
»Tut Buße! Buße und nochmals Buße! Denn bald wird Gottes Schwert auf euch niederfahren!« Der Dominikanermönch hält das noch vor kurzer Zeit bunt schillernde, blühende Florenz im Würgegriff. Das Wehgeschrei ist nicht mehr zu überhören. Angst vor der Zukunft befällt die Bürger. Schon Ende des Jahres 1494 hat Girolamo Savonarola die Herrschaft der Medici gebrochen und die Macht an sich gerissen. Vom Kloster San Marco aus zieht er die Fäden und lenkt die Geschicke der Stadt. Auf der Kanzel hebt er den knochigen Finger: »O Italien, um deiner Sünden willen kommen nun die Heimsuchungen über dich! O Florenz, um deiner Sünden willen naht nun das Strafgericht! O ihr Kirchenherren in Rom! O ihr Vornehmen und Reichen! Gottes Hand ist drohend über euch, und weder Macht noch Weisheit noch Flucht vermag ihr zu entkommen …«
Neapel
Am 12. Mai 1495 lässt sich Karl VIII. in der Kathedrale von Neapel zum König krönen. Der erste Höhepunkt seiner Heerfahrt ist erreicht. Viel zu klein, wie verloren sitzt der goldene Kronreif auf dem unförmig großen Kopf. Weil die Füße nicht bis zum Boden reichen, hat ihm sein Kammerherr eine Fußbank hingestellt. »Bin ich nicht schon am Ziel?«, fragt er seine Ratgeber und verzieht den Mund. »Muss ich wirklich gegen diese Muselmanen kämpfen? Wie es dieser florentinische Mönch von mir erwartet. Ich fürchte seinen Fluch. Aber Jerusalem scheint mir doch sehr weit …«
»Sire, wenn es die Sachlage erfordert, darf auch ein so kühner und heldenhafter Herrscher, wie Ihr es seid, die vorher gefassten Pläne überdenken.«
»Aber muss ich denn nicht wenigstens hier in Italien den Auftrag Gottes erfüllen? Was sagte noch Savonarola zu mir? Sein bleiches knochiges Gesicht werde ich nie vergessen. Diese Augen …« Der König gibt sich einem wohligen Schauder hin, ehe er jedem Satz nachschmeckt. »Er hat meine Mission so treffend beschrieben: ›Du großer Vollstrecker der göttlichen Gerechtigkeit …! Du bist erschienen, um Italien und die Kirche für alle Verbrechen zu strafen … Heil immerdar sei deiner Ankunft!‹ Darf ich denn den mir vorbestimmten Weg verlassen?«
»Sire! Eure Gegner haben sich zu einem starken Bündnis zusammengeschlossen.« Der Ton wird härter. »Auch sind Eure Verbündeten zu der Allianz übergetreten. Die Spanier, selbst der Habsburger. Ihr seid ohne Freunde, Sire. In Anbetracht der nun bedrohlich angewachsenen Kriegsmacht wäre es dringend notwendig, sich so rasch wie möglich auf den Heimweg zu begeben …«
»Wie ein Hase? Pfui.« Karl rutscht bis zur Lehne seines Thronsessels zurück. »Kannst du das nicht etwas freundlicher umschreiben? Schließlich bin ich der Erneuerer des Römischen Reiches!«
Nach einem trockenen Hüsteln verbessert sich der Weise: »Sire, es würde Eurer überlegenen Klugheit und Weitsicht entsprechen, wenn Ihr jetzt das Unternehmen beendet und als glorreicher Triumphator nach Paris zurückkehrt.«
Etwas besänftigt reibt Karl die dunkle Warze auf seiner Nase. »Ich werde darüber nachdenken.«
Kaum neun Monate sind es her, dass Karl VIII., König von Frankreich, mit einem Heer von vierzigtausend Mann, Fußtruppen und Reiterei, ausgerüstet mit den modernsten Handfeuerwaffen und Kanonen, die Alpen überquerte und fast ohne Gegenwehr die Städte Oberitaliens einnahm. Allein der fanatische Bußprediger und neue Machthaber von Florenz jubelte dem Eroberer zu.
»Missus a Deo! Voluntas Dei!« Dieser Wahlspruch prangte auf der königlichen Fahne. Der Kriegsherr fühlte sich in der Tat von Gott geschickt und handelte »in Gottes Willen«.
Zuvor, Anfang des Jahres 1494, hatte man ihm die Weissagung eines französischen Gelehrten im Thronsaal verlesen: »Du, Karl wirst in deinem 24. Lebensjahr Neapel erobern, im 33. Lebensjahr ganz Italien unterwerfen, sodann über das griechische Reich triumphieren und die Monarchie über die ganze Welt an dich reißen.«
Der kleinwüchsige König hob den übergroßen Kopf. Von Jugend an hatte er sich vornehmlich an Ritterromanen ergötzt und wundersame Geschichten über die Kreuzzüge in sich aufgesogen. Jetzt stieg sein Blick über die versammelten Hofräte hinauf zum Licht der Fenster. »Ich ahnte es immer, nun ist es Gewissheit. Ich bin der Erretter. Und weil ich im 24. Lebensjahr stehe, muss ich die Weissagung erfüllen.«
Durch Abtretung einiger Provinzen sicherte er sich das Wohlwollen Spaniens. Vom Habsburger König Maximilian I.
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