Riemenschneider
die kleine Enttäuschung aufgelöst, sie seufzt und lächelt ihn an. »Ach, Herr, Ihr schwärmt wie ein Junge. Zu sagen weiß ich nichts, nur die Freude mit Euch teilen, das möchte ich.«
Als habe sie damit eine Schleuse geöffnet, berichtet der Meister weiter. 250 Gulden wird der Auftrag einbringen. »Die Anzahlung allein schon genügt, den Söhnen meiner Anna das Erbe pünktlich auszuzahlen.« Meister Til hat den Hof Wolfmannsziechlein schätzen lassen. Eine Hälfte der Summe von 240 Gulden soll seiner Tochter Gertrud zustehen, die andere unter den drei Söhnen aus erster Ehe aufgeteilt werden. Im Erbteilungsvertrag ist festgelegt, dass die Summe in zwei Raten vom Stiefvater zu entrichten ist. Die erste hat er schon am 25. Juli aufgebracht, und die letzte soll im nächsten Jahr folgen.
Bei der Erinnerung an das Gespräch mit dem ältesten Sohn Georg in jener Nacht runzelt er die Stirn. »So haben die Jungen genügend Kapital, um ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.« Die Leichtigkeit stellt sich nicht mehr ein. »Und ich bin frei von allen Verpflichtungen meiner Anna gegenüber.«
»Ihr sagt das so, Herr?« Magdalena schluckt, ehe sie weitersprechen kann. »Warum ist das so wichtig für Euch?«
»Nur der Ordnung wegen«, murmelt er und verlässt die Nähstube. Im Weggehen wiederholt er: »Nur der Ordnung wegen.«
Magdeburg
Im schlichten Haus der Brüder des gemeinsamen Lebens am Diebshorn wird es still. Lehrer und Mitschüler haben sich nach dem Essen auf den Weg zur Kirche begeben. Allein liegt Martin Luther unterm Dach auf dem Strohlager; die Lippen vom Fieber aufgesprungen, der Mund ausgetrocknet; er horcht, ob vielleicht einer der strengen Brüder zurückkehrt. Doch es bleibt still. »Durst«, flüstert der Dreizehnjährige. »So gebt mir zu trinken. Bitte!« Seine Hand tastet nach dem Becher, wieder setzt er ihn an, dreht ihn um, nicht ein Tropfen rollt mehr hinaus.
»Auch wenn du krank bist, musst du deine Gelüste bezähmen.« Als wären Fieber und Schüttelfrost ein Vergehen, so betrachtete ihn am Morgen der Obere und setzte hinzu: »Teil dir das Wasser gut ein. Hin und wieder einige Schlucke genügen vollends.«
Unten in der Küche … Vor Martins Augen reiht sich ein Bottich mit kühlem Wasser an den anderen. Die Qual wird übermächtig. Er rollt sich vom Bett, kann nicht aufstehen, also kriecht er über den Boden des Schlafsaals. Weit ist der Weg bis zur Stiege. »Ich schaffe es«, keucht er, »ich schaffe es bestimmt.«
Wer sich aufgibt, geht unter. Dies musste Martin sehr früh schon lernen. Zu Hause in Mansfeld hatte er sich stets, wie auch die jüngeren Geschwister, unter den Hieben des Vaters Hans ducken müssen, und war er Schutz suchend zur Mutter geflohen, so schlug sie ihn umso härter. Wegen einer Nuss, die sich der Junge heimlich nahm, prügelte Frau Margarethe ihn, bis Blut aus der Nase quoll … Nein, sie hatte nie Verständnis für die Gelüste ihrer Kinder nach den süßen Früchten in den Nachbargärten. Wer sich daran vergriff, der war ein gemeiner Dieb.
Bei der Stiege angekommen, dreht sich Martin um und tastet auf Knien und Händen rückwärts die Stufen hinunter. Auf halber Treppe befällt ihn Schwindel, er kann nicht weiter und presst die Stirn auf die Stiegenbohle.
Bilder schwanken über ihm. Martin fällt in den Schacht, er fällt hinter dem Vater her ins Erzbergwerk … tief unten kriechen sie durch den Stollen … lautes Gelächter, Kichern … eine Stimme lockt: »Kommt näher, näher … ich gebe euch unermesslichen Reichtum …«
Nach der nächsten Biegung türmt sich eine Wand aus Silber vor ihnen auf. Reines Silber. Wie ein Hungriger stürzt Vater Hans vor, er hackt, meißelt, und der Sohn muss den Schatz im Korb bergen … Doch bei Tageslicht liegen nur stumpfe Erzbrocken darin. Der ehrbare Bergmann erbleicht. »Satan treibt im Stollen sein Unwesen. Er hat mich zum Narren gehalten …« Inbrünstig fleht er die Patronin der Bergleute um Beistand an, und Sohn Martin fällt mit verängstigter Stimme ins Gebet mit ein: »Heilige Anna, beschütze uns vor allen Dämonen, die uns bedrängen …«
Zu Hause hört Mutter Margarethe vom Satan, gleich legt sie Schöpfkellen und Messer zum Kreuz auf den Tisch und murmelt hastig Abwehrsprüche …
Die Bilder lösen sich. »Gottlob musste ich nie mit dem Vater in den Stollen«, flüstert er. Die Schleier vor den Augen weichen, und Martin kann auf allen vieren weiter hinabhangeln. »Überall lauern sie. Überall sind wir von Hexen
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