Riemenschneider
Mannes. Schnell verbreitete sich die Nachricht. Sonntag für Sonntag strömten mehr Menschen nach Niklashausen. Mit der Zottelkappe auf dem Haupt stand der Pfeiferhänsel auf einem umgedrehten Fass und predigte der Menge. Von Mal zu Mal wurden seine Worte mutiger: » … Unsere Pfarrer sind voller Habgier … Weg mit ihren Pfründen! … Sie sollen nur so viel erhalten, dass sie von einer Mahlzeit zur nächsten kommen …«
Bauern, Knechte und Mägde. Bald wallfahrten Tausende nach Niklashausen an der Tauber. Sie kamen aus dem Hessischen, dem Schwäbischen und aus Würzburg, brachten Kerzen und reiche Gaben, andächtig lauschten sie dem heiligen Jüngling. » … Papst und Kaiser, Fürsten und Herren, Ihr alle solltet mit dem einfachen Manne teilen!«
Nach erschrecktem Schweigen brandete Beifall auf.
» … keiner darf mehr haben als sein Bruder! Jeder soll seine Nahrung selbst mit eigener Hand gewinnen! Das ist die von Gott gewollte Gerechtigkeit!«
Jubel brach aus. Beseelt ließ sich der Pfeiferhannes von ihm hinauftragen. »Ja, Brüder und Schwestern, deshalb sage ich: Verdammt sind Abgaben und Zinsen. Lasst euch nicht länger aussaugen. Verweigert den Frondienst!«
In der Nacht zum 12. Juli, dem nächsten Wallfahrtssonntag, ließ Fürstbischof Rudolf den Prediger heimlich verhaften und ins Kerkerloch seiner Burg werfen.
Am nächsten Tag warteten mehr als Vierunddreißigtausend vergeblich auf ihren Propheten. »Er kommt nicht mehr!« In Gruppen verließen die Wallfahrer tränenüberströmt die Wiesen vor der Kirche von Niklashausen und traten den langen Rückmarsch ins Elsass, nach Thüringen und Schwaben an.
Da sprang einer aufs Fass: »Brüder wartet! Mir ist die Dreifaltigkeit erschienen. Sie hat uns befohlen, mit Kerzen vor die Burg des Bischofs zu ziehen. Dann werden sich die Tore öffnen, und unser heiliger Jüngling wird frei herausschreiten …«
Da machten sich Tausende von Wallfahrern mit vierhundert großen Votivkerzen auf den Weg nach Würzburg …
Kein Wunder geschah. Das Tor blieb verschlossen. Großherzig wurde den Anhängern des Propheten freier Abzug gewährt, doch es war nur eine List. Die Reiter des Bischofs fielen ihnen in den Rücken, zwölf Bauern schlachteten sie ab, verwundeten Hunderte und nahmen beide Anführer gefangen. Sie wurden geköpft. Den Pfeiferhannes aber ließ der Bischof foltern und verbrennen …
Rudolf von Scherenberg wälzt das Haupt hin und her, erneut überstürzt ihn die Woge der Schmerzen, Entsetzen und Pein zerfurchen sein Gesicht … Da tritt der Knöcherne ans Lager, schlägt den Mantel zurück und lässt ihn erstarren.
»Der Bischof ist tot!«
Unten in der Stadt klagen und weinen die Bürger, schwarze Tücher hängen aus den Fenstern, Würzburg trauert. Im Schloss werden Vorbereitungen getroffen. Der Körper wird geöffnet und die Eingeweide werden herausgenommen. Was immer schon vermutet, liegt nun sichtbar vor den Doctores. »Es waren die Steine«, gibt der Leibarzt zu Protokoll.
Mit einem Brett versteifen sie den Rücken des Verstorbenen und befestigen ihn, sitzend und angetan mit den Festgewändern, auf seinem Thron.
War es neunundzwanzig Jahre zuvor der prunkvolle Ritt zum Marienberg hinauf, so wird Fürstbischof Rudolf nun von Getreuen gemessenen Schritts hinabgetragen. Im Dom dürfen die Menschen an ihm vorbeiziehen, um Abschied zu nehmen.
Auch Tilman Riemenschneider erweist dem Verstorbenen die letzte Ehre. Ohne große Anteilnahme nähert er sich dem hohen Stuhl. Zeitlebens hat ihn Bischof Rudolf nicht wahrgenommen, nicht einen Auftrag erhielt seine Werkstatt von ihm. »Ich war dein Untertan«, flüstert Til, »mehr nicht.« Doch dann sieht er das Antlitz des Herrschers, liest aus den Zügen die Unbeugsamkeit, den nachdenklichen Zorn. Wie im Zwang muss er die Schlange der Trauernden verlassen. Etwas abseits verharrt der Meister und nimmt das Bild in sich auf. Verdorrt, lederfaltig die Haut, ein schmalscharfer Lippenbogen überspannt den zahnlosen Mund. Wie ein Felsgrat zieht sich der Nasenrücken hinauf zur Stirn und trennt die schräg stehenden Augen. Spuren des Lebens in einer verwitterten Landschaft. Til verneigt sich vor dem Toten und verlässt tief berührt den Dom.
»Vivat Bischof Lorenz!«
Am 12. Mai 1495 wird Dompropst Lorenz von Bibra vom Domkapitel einstimmig zum neuen Oberhirten des Hochstifts und Landesherrn von Ostfranken ernannt. Fanfarenstöße, die Stadtmusikanten ziehen mit Flöten und Trommeln dem Zug voran, dann geleiten Adel und Klerus den
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