Riemenschneider
zweite nur einen Schritt weiter über die nächste Schnur. Sie zog den Korb mit sich und klammerte das dritte Tuch fest. Viele weiße Vorhänge, dachte sie, ein gutes Versteck. Besser, ich bleib gleich ganz hier. Tränen standen ihr in den Augen. Der lange Tisch. Gertrud, die Söhne, alle Gesellen und Lehrbuben, die Mägde und Magdalena saßen und löffelten die Suppe. Von Kopfende aus sah Meister Til über alle hinweg zum Kreuz an der Wand und beschwerte sich erst mit vorwurfsvollem Ton über das Essen und danach …
Langsam wiederholte Magdalena: » … Es ist schädlich, nur mit Dienstmägden zu haushalten. Und deshalb werde ich …« Schwer fiel ihr jedes Wort: »Werde ich mich bald wieder verheiraten.« Die frisch gewaschenen Laken blendeten, gaben keinen Schutz mehr. »Und ich weiß genau, flüsterte sie, »mich hat er damit nicht gemeint.« Die Schultern sanken.
Nach einer Weile setzte sie neu an: »Warum auch? Er ist ein Herr. Und ich? Gar nichts. Nur eine Eva oder eine Maria, wenn der große Bildschnitzer sie gerade braucht.« Sie ballte die Faust und rieb die Knöchel an den Zähnen. »So ist das eben.«
Würzburg
Am 29. April 1495 betritt der Tod das bischöfliche Schlafgemach. Er hebt sein Stundenglas, noch rinnen die letzten Sandkörner, noch ist die Zeit für den Schwerkranken nicht gekommen. Geduldig harrt der Knöcherne an der Türschwelle aus.
Kanzler Allendorf und Dompropst Bibra warten nahe des Bettes, Mitleid in den Mienen, jederzeit bereit, noch eine Bitte zu erfüllen. Die Doctores umstehen ratlos den Leibarzt des Fürstbischofs, nach langem, unermüdlichem Kampf gegen das Steinleiden hat ihre Kunst endgültig versagt, sie sind besiegt.
Unsagbare Schmerzen quälen Rudolf von Scherenberg, sie kommen in Wellen und hinterlassen beim Abebben flüchtige Bildspuren im Sand des Lebens:
Fahnen, blinkende Wappenschilde, Blumengirlanden … Welch ein Fest! Vor neunundzwanzig Jahren jubelten Würzburg und das gesamte Hochstift dem gerade geweihten Oberhirten zu. Nach der Messe im Dom hielt ihm der Obermarschall den Steigbügel. Der damals schon Sechsundsechzigjährige bestieg sein Ross mit bedächtigem Schwung, ein Lächeln für die Bürger entlang der Absperrung, und ritt dann an der Spitze aller Grafen, Ritter und Äbte sowie der Abgesandten aus den Städten seines Herrschaftsgebietes über den Main. Mehr als elfhundert Reiter auf geschmückten Pferden folgten ihm den Marienberg hinauf zum Schloss.
Die Erinnerung lässt den Todkranken lächeln.
… Stets war er bemüht gewesen, den Würzburgern ein guter und gerechter Herr zu sein, dem Wohl der Stadt galt seine Fürsorge. Geschickte Diplomatie bei Verhandlungen und wenn notwendig auch hartes Durchgreifen gegen Feinde zeichneten ihn aus …
Auf ein erfülltes Leben kann Rudolf zurückblicken. Seine Lippen öffnen sich, mühsam formen sie Wort für Wort. Sofort beugen sich seine engsten Vertrauten über ihn. Der Greis wiederholt, das Flüstern wird zur Bitte: »Tod, sei mir willkommen!«
Der Knöcherne aber lässt den Mantel geschlossen, und es ist, als wäre das Verrinnen der Sandkörner ins Stocken geraten. Von Neuem erschüttert Schmerzensqual den Leib des alten Mannes, bald weicht sie wieder, doch das Beben des Mundes bleibt, und im Flattern der Lider wächst ein Feuerbild. Unterhalb der Festung auf dem Schottenanger lodert der Scheiterhaufen.
»Ich musste … so handeln …«
Kanzler und Dompropst stimmen zu, obwohl sie nicht wissen, welche Erinnerung ihren Herrn bedrängt.
Marienlieder. In den hochzüngelnden Flammen singt der Heilige Jüngling mit immer schwächer werdender Stimme. Der Pfeiferhannes stirbt, seine Asche wird in den Main gestreut.
Schon vor dem kurzen Prozess stand das Urteil fest. Fürstbischof Rudolf von Scherenberg hatte befohlen, und die Richter hatten gehorcht. In seinem Hochstift durfte es keine Aufrührer geben.
In der Mitte der Fastenzeit im Jahre 1476 verbrannte der Hirte und Spielmann Hans Behem auf dem Dorfplatz zu Niklashausen seine Flöte und die Pauke. »Mir ist in der Samstagnacht die Muttergottes beim Viehhüten erschienen. Sie hat mir verboten, weiter aufzuspielen.« Die ersten Neugierigen scharten sich um den Pfeiferhannes. »Sie hat mir befohlen, dass ich verkünden soll: Wer nach Niklashausen kommt und verehrt Maria in Gebet und Gesang, der erhält vollkommenen Ablass, der steigt nach seinem Tod gleich auf in den Himmel!«
Ein fremdes Licht strahlte aus den Augen, so klar und rein klang die Stimme des jungen
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