Riemenschneider
wir warten noch was mit dem Dahinfahren. Vielleicht kann ich mit deiner Hilfe doch wieder ein rechter Kriegsmann werden …«
10
Ü ber Nacht hatte sich das Grau der vergangenen Wochen verflüchtigt. Ein weiter Himmel überspannte Würzburg bei Tagesanbruch; bald schon zeichnete das Sonnenlicht scharfe Linien der Giebel, Türme und Mauern, schnitt oben auf dem Marienberg die mächtige Burganlage aus dem Blau, und von West blies ein stetiger Wind. Ein geschenkter Morgen im November.
Magdalena zog nach vorn gebeugt den Leiterwagen durchs Pleichacher Tor in die Mainwiesen hinaus. Warm eingepackt hockten die drei rotlockigen Söhne des Meisters hinter ihr auf der Ladefläche und winkten übermütig den Wachposten zu, patschten sich gegenseitig die Hände und kicherten. Florian und Katharina schoben von hinten, halfen, das Gefährt durch Kuhlen und über Steine zu schieben.
»Wir wollen Drachen steigen lassen!«
»Nein! Ball spielen! Ball spielen!« Mit wütendem Löffelschlagen auf die Ränder ihrer Breinäpfe hatten Jörg und Hans nach dem Frühmahl den Wunsch der beiden Größeren übertönt, und der dreijährige Barthel hatte die Brüder dabei mit ohrenbetäubendem Quietschen unterstützt. Längst war der Meister mit den Gesellen in der Werkstatt verschwunden, die Geschwister seiner Gemahlin hatten sich mit der ältesten Tochter Gertrud auf den Schulweg begeben.
Schwungvoll hoben vier Mägde eine der langen Holzplatten ab, lehnten sie hochkant bis zur nächsten Mahlzeit an die Wand und stellten die Böcke ineinander. Seit die Zahl der Esser im Haus Wolfmannsziechlein so angewachsen war, aßen an der Tafel nahe den Fenstern die Männer und am Tisch unter dem Kreuz die Kinder und Frauen. Rasch nahm eine Magd den Schreihälsen die Breinäpfe weg; die Löffel aber blieben in den kleinen Fäusten, hämmerten den Rhythmus jetzt auf das hell gescheuerte Holz. »Ball spielen! Ball spielen!«
Der Lärm erschreckte Anna, leicht bebten ihre Lippen. Die schmächtige Hausherrin hatte die Finger verschränkt und rieb die Handballen aneinander. Hilfe suchend blickte sie ihre Kinderfrau an. Magdalena sah die Not, erhob sich und hieb beide Fäuste gleichzeitig auf die Tischplatte. In den Donner hinein fluchte sie: »Kreuzsatanpotzundblitz!«
Schweigen. Mit offenen Mündern staunten die drei Buben. Florian grinste, und Katharina hatte sich vor Schreck gerade hingesetzt.
»Wir werden zum Main gehen.« Der Ton erlaubte keine Widerworte. »Die Großen ziehen die Kleinen an. Alle warten dann im Hof, bis ich den Leiterwagen gepackt habe. Keinen Streit. Keinen Lärm. Und jetzt ab mit euch!«
Auf Zehenspitzen huschten die Kinder hinaus.
»Warum gelingt es dir?« Anna senkte die Lider. »Wenn ich ihnen etwas sage, dann muss ich es zehnmal wiederholen, bis sie gehorchen.«
»Weil ich besser fluchen kann …« Magdalena nahm sich gleich zurück. »Nein, das war ein Scherz.« Ernst fuhr sie fort. »Ihr habt Eure ganze Kraft an die Kinder weggegeben. Zuletzt dem Barthel. Der Kleine ist munter und gut im Futter wie die anderen. Und Ihr? Seht Euch doch an. So blass und durchsichtig. Aber lasst nur, gemeinsam nehmen wir es mit den Schreihälsen schon auf.« Zur Ermunterung ballte sie spielerisch eine Faust und blickte grimmig.
Anna streichelte ihren Arm. »Ich bin so froh, dass du bei mir bist. Manchmal, wenn ich morgens aufwache, dann fürchte ich mich vor dem Tag. Erst wenn du durch die Tür kommst, fühle ich mich wohler.«
»Warum nur diese Angst? Er ist doch neben Euch …« Sofort verbot sich Magdalena das Bild. Fühlte sie sich auch längst zu Anna hingezogen, wollte die kränkliche Frau verteidigen, beschützen, jedoch: er neben ihr im gemeinsamen Bett … Diese Vorstellung schmerzte immer noch zu sehr. »Ich mein, Ihr könnt mit ihm reden.«
»Das wage ich nicht. Mein Gemahl muss so viel arbeiten und erwartet, dass ich ihm eine gute Hausfrau bin. Gerade jetzt, da er den Gnadenaltar für die Kirche in Gramschatz abliefern muss und noch nicht fertig ist. Da kann ich doch nicht klagen und jammern.«
Anna stockte; erst nach einer Weile sprach sie weiter: »Manchmal …Weißt du, manchmal stehe ich unten im Keller beim Brunnen, dann höre ich es krachen oben vom Dach her, und lauter wird es, und dann brechen alle Mauern … alles stürzt … alles bricht auf mich nieder.« Sie wischte sich die Stirn. »Verrückt, nicht wahr. Und mit so etwas darf ich ihn doch nicht belästigen.« Ein tiefer Seufzer. »Nur schade, dass du beim Notar Martin
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