Riemenschneider
Cronthal wohnst. Willst du nicht doch mit deinem Florian hier zu uns ins Haus ziehen?«
»Nein …« Viel zu schnell, viel zu schroff, Magdalena biss sich auf die Lippe. Unter einem Dach mit ihm soll ich bei dem Gesinde wohnen? Nie würde ich das ertragen. Sie mühte sich um eine Erklärung: »Verzeiht, Herrin, aber wir haben es bei dem Notar gut angetroffen. Eine helle Stube für mich, und der Junge hat sogar gleich nebenan eine eigene Kammer. So viel Platz gibt es für uns hier im Wolfmannsziechlein nicht.«
Frau Anna hatte genickt. »Sobald es leerer wird im Haus … Aber was sage ich? Weil mein Gemahl so viele Aufträge annimmt, beschäftigt er von Jahr zu Jahr mehr Gesellen. Nein, es wird immer enger hier.«
Das empörte Rufen draußen im Hof schreckte die beiden Frauen auf und beendete das Gespräch. In fliegender Hast hatte Magdalena den Leiterwagen aus dem Schuppen geholt und ihn mit Kindern, Drachen und dem mit Kuhhaaren gestopften Lederball beladen und war losgezogen.
Zum dritten Mal blieben die beiden Vorderräder in einem Wegloch stecken. »Jetzt ist Schluss.« Das Zugtier wollte sich nicht länger plagen. »Jörg und Hans. Aussteigen! Ihr seid zu schwer. Geht nach hinten und helft Katharina beim Schieben. Florian, du übernimmst die Deichsel! Ich muss erst wieder zu Atem kommen.«
Ihr Sohn verzog das Gesicht, jede anstrengende Arbeit war ihm verhasst, doch vor den Kindern des Bildschnitzers wagte er nicht, der Mutter zu widersprechen.
Damals nach der Rückkehr in die Stadt, bei ihrem ersten Weg zur Franziskanergasse, hatte sie ihn beschworen: »Wir können Gott danken, dass ich Arbeit auf dem Hof Wolfmannsziechlein gefunden habe und dich auch noch mitbringen darf. Dafür wirst du dich schicken und mir aufs Wort gehorchen. Ich bitte dich, sei den Buben ein gutes Vorbild.« Diese Abmachung hatten die beiden getroffen, und der Zehnjährige bemühte sich, so gut er es vermochte, nicht dagegen zu verstoßen.
Langsamer ging es weiter, vorbei an der Gänseweide. Gleich verteidigten die Tiere lauthals ihren Futterplatz. Geduckt hinter den Holzstreben des Leiterwagens, schrie und plärrte Barthel aus Herzenslust gegen die großen weißen Vögel an, bis ein Ganter am Wegrand zischelnd mit Hals und Schnabel auf ihn zu schnellte. Nahe dem Mainufer ließ Magdalena ihren Tross auf einem flachen Wiesenstück anhalten. Während sie den Jüngsten der Rotschöpfe aus dem Wagen hob, zankten sich die beiden anderen schon um die lederne Kugel. Nach einem Schuss von Jörg rollte sie gefährlich dicht an die Uferböschung. »Hier geblieben!«, befahl Magdalena den Jungen und forderte ihren Sohn auf, den Ball zu holen.
Bei seiner Rückkehr reckte Florian das Kinn. »Aber mitspielen werden wir nicht«, sagte er schnell, noch ehe die Mutter etwas anderes bestimmen konnte. »Ich hab’s gesagt. Katharina und ich lassen den Drachen steigen.«
Das Holzkreuz war mit gewachstem, dünnem Leinenstoff bespannt, den langen Schweif zierten in Abständen weiße Schleifen, die Magdalena in der Nähstube aus Seidenresten gebunden hatte. Katharina durfte noch nichts anfassen.
»Ich sag dir, was du tun musst. Komm jetzt!« Florian stopfte sich die dick mit Kordel umwickelte Spindel vorn in die Hose und trug den Drachen flach über dem Kopf gegen den Wind auf die Stadt zu. In Miene und Geste zeigte er sich dem Mädchen ganz als Fachmann. »Du darfst den Schwanz tragen«, erlaubte er nicht ohne Bedenken. »Doch sei achtsam! Nichts darf sich verknoten.«
Die Sechsjährige bückte sich, legte den Schweif über beide Arme, so trug sie ihn wie einen Schatz neben ihm her. Immer wieder hob sie den Blick voller Bewunderung und Hingabe zu Florian. »Ist es so richtig?« Beide Vorderzähne waren ihr ausgefallen, neue noch nicht nachgewachsen, und das S rutschte mit der Zungenspitze durch die Lücke.
»Genau richtig.« Großzügig verschenkte er sein Lob, und gleich spürte sie Herzklopfen. »Müssen wir noch weit?«
»An den Gänsen vorbei.« Er zog die Nase hoch und spuckte in einem weiten Bogen. »Will nicht, dass die Biester uns stören.«
Katharina kannte niemanden, der so schön spuckte, weder die Brüder der Mutter noch ein Geselle des Vaters, keiner warf so den Kopf zur Seite, spuckte solch weiße Flecken. Einmal hatte Florian ihr seine ganze Kunstfertigkeit bewiesen: Zielgenau traf er die Klinke der Haustür. Wenn er in ihrer Nähe war, empfand Katharina stets das Bedürfnis, ihm zu gefallen, manchmal steckte sie sich Kämme ins kastanienbraune
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