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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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Haar, legte sich einen Schal der Mutter um. Oder sie wollte ihm etwas Gutes tun. Wie oft hatte sie den Brüdern Naschwerk vorenthalten, um die kandierten Früchte dann Florian heimlich in die Jackentasche zu stecken.
»Hier lassen wir ihn steigen.« Eine freie Wiesenfläche, erst weiter zum Stadtgraben hin lagen große Kieselsteine, für den Lauf gegen den Wind war Platz genug. Florian vertraute seiner Gehilfin den Drachen an. »Wenn ich rufe, hältst du ihn hoch. Wenn ich noch mal rufe, lässt du ihn los!«
Er zog die Spindel aus dem Hosenbund, marschierte los, dabei wickelte er die Kordel ab, sorgte dafür, dass sie stramm blieb; nach zwanzig Schritten gab er den ersten Befehl, gleich den zweiten, und dann rannte Florian. Der Leinenvogel stieg, stieß in wilden Schlangenbewegungen auf und ab und stürzte ins Gras. »Verdammt! Du hast ihn falsch hochgehalten!«
»Entschuldige. Es tut mir leid.«
»Pass besser auf!«
Er befahl sie zu sich, gab genaue Anweisungen und startete den zweiten Versuch. Dieses Mal erfasste eine Bö den Drachen, nahm ihn ein gutes Stück mit hinauf. Florian rannte, jubelte, dabei vergaß er, mehr Leine zu geben, lief weiter, Katharina folgte ihrem Helden, sie sah den Windvogel, sah die Seidenschleifen der luftigen Girlande und lachte. Da senkte sich der Drachen in die Waagerechte, kippte vornüber, der Wind wurde sein übermächtiger Feind, zwang ihn nieder, und wie von einem Faustschlag getroffen, schlug der Leinenvogel in den Boden.
»Nein!« Vor Schreck stolperte Katharina und wäre beinah neben dem Verunglückten hingefallen.
»So ein blöder Drache.« Florian stemmte eine Faust in die Seite, prüfend sah er seine Assistentin an. »Du solltest aufpassen. Wieso ist er nicht gestiegen?«
»Ich weiß es nicht.« Sie beschrieb die Flugphasen bis hin zum Absturz mit der Hand. »Erst ist er so, dann so und dann …«
Ein Flötentriller unterbrach sie, gleich folgte ein tiefer Ton, der schnell die Leiter hinaufhüpfte und erneut in einem hellen Triller mündete. Das Spiel erklang im Rücken der Kinder. Beide drehten sich um. Nicht weit von ihnen entfernt hockte Hans Bermeter mit untergeschlagenen Beinen auf einem der großen Steine, sein grüngelbes Barett hatte er auf ein Knie gestülpt und ließ es im Rhythmus hin und her wippen.
Die Melodie verlockte. »Sollen wir?« Florian fasste nach der Hand des Mädchens. »Aber der Windvogel …«
»Den holen wir später. Jetzt sei kein Feigling!« Allein fehlte ihm der Mut. »Das ist kein Fremder, das ist einer von den Spielmännern. Den hab ich schon mal gesehen. Nun komm endlich.«
Katharina zögerte nicht mehr. Die Kinder rannten, erst kurz vor dem Stein verlangsamten sie den Schritt und blieben stehen. Ohne das Spiel zu unterbrechen, zwinkerte ihnen Hans Bermeter zu, er senkte den Kopf bei tiefen Tönen, beschrieb mit der Flöte Kreise vor dem Mund und reckte den Hals, als wollte er den hellen Tönen den Weg zum Himmel erleichtern, dazu tanzte die Mütze auf seinem Knie. Mit offenen Mündern bestaunten ihn die kleinen Zuschauer, strahlten, und bald schon ahmten sie, ohne es zu merken, seine Kopfbewegungen nach.
Wieder kletterte die Melodie aufwärts, blieb aber dieses Mal in der Leitermitte hängen, baumelte zwischen zwei Sprossen hoch und nieder, dann fiel sie hinunter bis auf den tiefsten Ton, und der Spielmann setzte die Flöte ab. »Zuhören ist teuer.« Seine Stimme klang scharf. »Das kostet ein Pfennig von jedem.« Er schnippte mit den Fingern. »Her damit.«
Florian bekam große Augen. »Aber … ich … Wir haben kein Geld.«
Das fordernde Schnappen hörte nicht auf. Vor Aufregung knickste Katharina vor dem Musikanten. »Entschuldige. Wir wollten gar nicht zuhören.«
In einem Satz war Bermeter vom Stein. »Also gut, dann spielen wir drum.« Kurz schlenkerte er den rechten Ärmel seiner dunkelgrünen Schaube und hatte zwei Würfel in der Hand. Das Barett legte er umgekehrt auf den Stein. »Komm näher, Florian.«
»Woher kennst du meinen Namen?«
»Ich weiß alles über dich«, säuselte Bermeter, »auch über deine Mutter.« Anerkennend pfiff er zwischen den Zähnen. »Das ist eine Frau. Sapperlot. Sapperlot. Als sie vorhin mit dir und Katharina … Ja, meine kleine Schöne, auch dich kenne ich, also als ihr und die drei Rotfüchse mit Frau Magdalena durchs Pleichacher Tor gezogen seid, da dachte ich …« Wieder ein Pfiff, den Satz beendete er nicht, sondern schnappte nach Florians Kragen und zog ihn näher zum Stein. »Nun aufgepasst.

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