Riemenschneider
den anderen mit der blanken Klinge: »Vorwärts! Seid keine Memmen!« und wartet nicht, trabt auf die feindlichen Stellungen zu, bis er nahe genug ist, um den einen oder anderen Wagemutigen aus den Reihen der Pfalzgräfischen heranzulocken.
Zehn Landsknechte zeigen sich, lange Spieße in den Fäusten. Weiter drüben reiten einige Geharnischte über den Wall. Prüfend blickt Götz zur Seite. Nein, er ist nicht allein, fünf Ritter haben sich mit ihm nach vorn gewagt. Jetzt reitet einer der Gegner mit eingelegter Lanze direkt auf ihn zu. Götz sitzt reglos im Sattel. »Komm nur näher! Den Zahnstocher schlag ich dir aus der Hand. Danach spalt ich dir den Schädel.« Schon ist das Kampfgeheul des Feindes zu hören. Der von Berlichingen wartet noch.
Donnern! Geschützdonner! Götz reißt das Schwert hoch. Weit hinter seinem Rücken feuern die Nürnberger mit allen Feldschlangen, zielen auf den Wall, doch die Kugeln schlagen neben und vor ihm ein. »Ihr Idioten!«, brüllt er. »Zu kurz! Verdammt, ihr feuert zu kurz!«
Ein furchtbarer Schlag fährt durch den rechten Arm, wirbelt die Waffe davon, reißt den Oberkörper zur Seite. Schmerz verlangsamt die Bilder. Götz schwankt, stürzt nicht vom Pferd. Die Kugel hat den Schwertknopf zersplittert, die Armschienen aufgebogen. Er starrt auf seine Rechte … der eiserne Handschuh baumelt herunter … und die Hand ist noch im Handschuh … hängt lose an der Haut … Blut quillt aus dem Unterarm … im Fleisch stecken Armschienen und die Schwertstange.
Jetzt erinnert er sich an den heranstürmenden Gegner, hebt den Kopf, und die Wirklichkeit ereilt ihn wieder. Reiterlos sprengt das Pferd an ihm vorbei. Am Boden liegt der Pfalzgräfische wie eine Eisenpuppe auf dem Rücken, die Kugel hat ihm Helmvisier und Gesicht zerschmettert. Von ihm droht keine Gefahr mehr, die Landsknechte marschieren aber, die Kampflinie rückt näher.
Götz tastet mit seiner Linken nach der Lanze, doch der Lederköcher ist leer, die Waffe liegt zwischen den Hufen des Pferdes. »Steht nicht gut für dich, mein Freund«, flüstert er und gibt sich selbst Befehle, weil ihm das Gehorchen dann leichter fällt und weil diese Befehle verhindern sollen, dass der Schmerz ihn zur Unvorsichtigkeit verleitet. »Rückzug, mein Freund. Aber gemach, sonst kippst du aus dem Sattel.«
Götz wendet das Pferd, hält sich aufrecht, als wäre ihm nichts geschehen. Ohne vom Feind verfolgt zu werden, erreicht er die eigenen Leute. Ein Haufe rennt gerade los, um sich ins Kampfgetümmel zu stürzen. Götz sieht einen alten Landsknecht, der mit den anderen nicht Schritt halten kann. »Her zu mir!« Nur leicht hebt er den rechten Arm, zeigt die lose hängende Hand und bemüht sich um einen lockeren Ton. »Schätze, ich brauch deine Hilfe.«
Zunächst glaubt der Alte nicht, was er sieht, dann aber stammelt er: »O Gott, nein. Dieser verdammte Krieg. O Gott, nein!« und führt das Pferd am Zaumzeug bis zum Zelt. Gemeinsam mit dem Leibdiener hebt er den Ritter aus dem Sattel.
Schnell ist der Feldarzt zur Stelle, löst Schwertstange und Eisenschienen aus dem Fleisch und schnürt den Arm, um das Blut zum Stocken zu bringen.
Götz erträgt die besorgte Miene nicht lange. »Was ist mit meiner Hand? Kannst du …?«
»Nein. Kein Chirurg kann da helfen. Es tut mir leid, aber sie ist verloren.«
»Dann …« Die Stimme schwankt, gehorcht nicht mehr. »Dann schneid sie ganz ab.«
Bald schon werden die Schmerzen unerträglich. Götz flucht, stöhnt und flucht.
»Ritter von Berlichingen ist schwer verwundet!« Die Nachricht verbreitet sich im Lager, erreicht auch Markgraf Friedrich. Noch am Abend entsendet er einen Unterhändler zu Pfalzgraf Rudolf und erwirkt für den getreuen Gefolgsmann freies Geleit in die Stadt Landshut, damit er dort versorgt würde.
Der Transport soll während der Kühle des nächsten Morgens stattfinden. In der Nacht flucht der Ritter nicht mehr, das Laudanum hat den Schmerz gelindert und die harte Schale aufgeweicht. Götz presst die Linke ans Herz, seine Lippen bewegen sich. »O großer Gott, wenn ich teilhaben darf an deiner Gnade, so lass mich in deinem Namen dahinfahren. Denn, als Kriegsmann bin ich verdorben und nichts mehr wert …«
Nach Stunden tiefster Verzweiflung erinnert er sich an einen Knecht, von dem sein Vater ihm schon als Kind erzählt hat. Dieser Köchli hatte auch nur noch eine Hand, und er stand trotzdem im Feld seinen Mann wie jeder andere. »O großer Gott«, flüstert Götz im Fieber. »Besser
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