Riemenschneider
Stoff vor den Lenden, und Götz ging zum Tisch hinüber. »Höflichkeit, Kerl. Höflichkeit ist eine wertvolle Tugend. Merk dir das!« Er senkte die Kunsthand, bis die Waffe waagerecht über der Holzplatte schwebte, ein harter Faustschlag auf die eiserne Armstulpe, mit lautem Schnappen lösten sich alle Sperren in den Gelenken, Daumen und Finger streckten sich, und das Schwert fiel auf den Tisch.
»Um Vergebung, Herr.«
»Lass hören, was du den Kölnern geschrieben hast«, forderte Götz den Sekretär auf und befahl seinem Knappen: »Du schnürst mir derweil die Hand ab und kleidest mich an. Nur Rock und Schultermantel.« Er schnippte mit der linken Hand. »Ich höre.«
Tief atmete Sinterius ein. »Wisset, Ihr Herren von Köln …«
»Das kenne ich schon. Nur den neuen Text.«
Der schöne Atemschwung für das Ganze blieb ungenutzt, und eher stockend bemühte sich der Schreiber, die Sätze anzuflicken: » … der Stadt Köln Feind geworden bin und Euch die Fehde ansagen will, darum, dass ich den Schneider Sindelfingen aus Stuttgart mehr liebe als Euch und genau wie er unter dem großen Unrecht leide, dass Ihr ihm angetan habt. Denn der Schneider Sindelfingen aus Stuttgart ist der Sieger beim Preisschießen in Eurer Stadt gewesen, und Ihr habt ihn um den Gewinn von 100 Gulden betrogen. Ich werde nicht rasten und ruhen, bis Genugtuung und Sühne erreicht sind. Ritter Götz von Berlichingen …« Sinterius tunkte den Federkiel ins Fass. »Welches Datum soll ich einsetzen?«
Schon hatte ihm sein Herr das Blatt vom Pult gezogen. »Warte, warte, bis ich es dir erklärt habe.« Er legte den Brief wieder zurück. »Das genaue Datum muss im Unklaren bleiben. Deshalb schreibst du hier …« Sein Finger markierte die Stelle unter dem Text. »›Datum vom Dienstag nach‹ mehr nicht.« Sinterius gehorchte.
»Gut, nun male einfach einige Buchstaben. Wird’s bald. Halt, genug! Nun schreibst du wieder leserlich: ›im Jahre‹ dann eine ›Null‹ und daneben machst du einen Klecks.«
»Aber Herr, das schöne Schriftbild …«
Die Ohrfeige erschütterte auch die Feder, und Tinte tropfte auf die befohlene Stelle. Götz schnappte sich den Brief, legte ihn auf die Tischplatte, stemmte den Armstumpf darauf und schmierte mit der Fingerkuppe über die wahllosen Buchstaben zwischen Datum und Jahr und verwischte den Fleck neben der Null. Mit seinem Werk zufrieden, grinste er und winkte den Sekretär zu sich. »Sieh ihn dir an. Das nenne ich einen guten Fehdebrief. Alles ist gesagt, nur ist das genaue Datum leider unleserlich. Das kann ja vorkommen.«
Beide, Sekretär und Knappe, blickten den Herrn verständnislos an, der blies sich genüsslich weiter auf: »Wenn es um Kriegslist geht, könnt ihr noch viel von mir lernen. Dies ist der Fehdebrief für die Kölner. Mein Exemplar bekommt das richtige Datum, gut zu entziffern für jeden, dem ich es unter die Nase halten werde. Hab ich mich klar ausgedrückt?«
Milde nahm er das Kopfschütteln seiner Diener hin. »Auch gut. Dann sperrt die Ohren auf. Sinterius, du reitest morgen nach Köln …« Er sollte sich an den Stadttoren umsehen und einen der jüngeren Wachposten ansprechen. »Wenn du weißt, dass er knapp am Beutel ist, und die Posten werden alle schlecht bezahlt, dann fragst du, ob er sich zwei Taler verdienen will, und er will, das weiß ich …« Diesem Mann sollte Sinterius den Fehdebrief überreichen und ihn mit einem Taler gleichzeitig davon abhalten, das Drohschreiben sofort weiterzuleiten. »Die zweite Münze erhält er, wenn er wartet, bis du wiederkommst und ihm den Befehl zur Übergabe mitteilst. Ist doch ganz einfach?«
Dem hoch aufgeschossenen Sekretär war anzusehen, dass er zwar den Auftrag, nicht aber den Sinn verstanden hatte. Thoma kratzte die gerade verharschte Platzwunde an seiner Stirn wieder auf. »Warum, Herr, schreibt Ihr einen Fehdebrief, wenn Ihr ihn verheimlichen wollt?«
»Um Zeit fürs Beutemachen zu gewinnen.« Götz dozierte mit dem nackten Armstumpf in der Luft. »So kann ich mir über Monate oder sogar länger die Kölner Pfeffersäcke vornehmen, ohne dass jemand auf die Idee kommt, zwischen mir und den Kölnern einen Vergleich auszuhandeln. Und kommen ernste Drohungen, dann bin ich im Recht. Wie vorgeschrieben, habe ich den Brief übergeben.« Er wischte sich mit der Narbenkuppe über die Lippen. »Ist es meine Schuld, wenn er nicht gleich den Stadtrat erreicht hat?«
»Darf ich noch etwas fragen?«
»Wag es nicht, Schlaukopf.« Der Ritter drohte
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