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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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beiden. »Von nun an wird gehorcht. Ihr wisst, was zu tun ist. Und jetzt verschwindet!«
Hufschlag aus Richtung Gelnhausen. Rasch näherte er sich der scharf geschwungenen Kehre zwischen den schroffen Felsen. Die Eichelhäher kreischten, flatterten aus den Buchenkronen, schimpften über die breite Handelsstraße hinweg, und erst in den Tannenwipfeln der anderen Seite beruhigten sich die Wächter des Waldes wieder. Frühnebel zog in trägen Schwaden über die Sträucher, waberte höher und verlor sich an den steilen Randböschungen.
Aus dem Dunst tauchte der Reiter auf, vor der Biegung verlangsamte er das Tempo. Durch den Trichter seiner Hände ahmte er das helle Schlagen des Buchfinks nach. Sofort kam das gleiche Signal zurück, wenig später erschien auf der rechten Höhe ein Kämpfer mit gespannter Armbrust. »Steig ab und führ das Pferd am Halfter weiter!«
Hinter der Kurve rückten die felsigen Hänge noch enger an die Straße, erst gut fünfzig Schritt weiter neigten sie sich, wurden flach und gaben den Blick in den Wald wieder frei. Lautlose Gestalten zwischen den Bäumen, Bewegung im Unterholz, und von einem Lidschlag zum nächsten traten zwei Bewaffnete dem Reiter in den Weg.
»Was hast du herausgefunden?«
»Es sind die beiden Kölner, die ich schon seit Frankfurt beobachte. Keine Wagen, nur Pferde und Maultiere. Und immer noch allein, haben sich niemandem angeschlossen. Übernachtet haben sie im Löwen. Und es geht nicht nur bis Erfurt. Soviel ich gestern Abend in der Schankstube mitgehört habe, wollen sie nach Leipzig.«
»Eine Eskorte?«
Der Späher schüttelte den Kopf. »Nur der Diener, bewaffnet mit Schwert und Armbrust. Ein großer, aber sehr beweglicher Kerl, der könnte gefährlich werden. Vorhin hab ich ihn im Hof vom Löwen beobachtet, wie er die Gäule aufgesattelt hat. Als er das bepackte Maultier aus dem Stall zog, bin ich los.«
»Wann?«
»Schätze, die sind knapp eine Stunde hinter mir.«
»Das genügt. Reite eine halbe Meile weiter, dann rechts in den Waldweg. Da lagern wir.« So rasch, wie sie aufgetaucht waren, zogen sich die Waffenknechte zurück, und der Späher stieg in den Sattel.
Gut gestimmt ritten die beiden Kölner Kaufleute in den friedvollen Junitag. Unterstützt von ihrem Diener sangen sie zu dritt ein schauriges Lied über das Schicksal eines entehrten Mädchens, abwechselnd trug jeder eine Strophe vor, und in den Refrain fielen die beiden anderen mit ein.
» … und sie war doch voller Unschuld. Doch Strafe …«, nun heulten die Männer genussvoll auf: » … muhuhusste sein.«
Der Nebel hatte sich verflüchtigt. Sonne wärmte die Wiesen, und Blumenteppiche begannen ihren Duft zu entfalten. Leicht nahmen die Pferde den Anstieg zum Wald und trabten zwischen den Felshöckern in die Kehre hinein. Die Reiter beachteten das Schnauben ihrer Tiere nicht, bemerkten nicht, dass auf beiden Höhen hinter ihnen sich Armbrustschützen postierten.
Die Reihe war an dem älteren der beiden Kaufherren. Übertrieben klagend hob er die Stimme:
»Und als die Zeit gekommen war, legt sich die Arme nieder.
Sie bracht das Kind allein zur Welt und küsst es immer wieder.
›Ich liebe dich, mein kleiner Sohn,
doch fort sind deine Väter schon …
Auch hab ich weder Haus noch Geld und kann dich nicht ernähren.‹
Sie bracht das Kind zum Bache hin,
tat’s mit ’nem Stein beschweren …«
Zu dritt, aus vollen Kehlen schallte der Refrain an den felsigen Wänden wider. »Und sie war doch voller Unschuld. Doch Strafe muhuhusste sein!«
Händeklatschen in ihrem Rücken, von beiden Seiten. Die Sänger rissen die Köpfe herum. Jetzt kamen Pfiffe dazu, gleichzeitig glitten Bewaffnete aus dem Wald; im Nu waren die Reisenden umstellt und starrten entsetzt auf den Kranz blitzender Spieße.
»Bravo!« Ritter Götz von Berlichingen trat gemächlich hinzu. Er patschte die gesunde Hand an die eiserne, die einen langen Dolch umklammert hielt. »Bravo. Welch ein Kunstgenuss!«
Der jüngere Mann fasste sich als Erster. »Was wollt Ihr?«
»Das fragst du?«
»Wir sind ehrbare Kölner Bürger.«
»Eben. Deshalb gibt sich Ritter von Berlichingen die Ehre. Er hat eine Fehde mit eurer Stadt.« Als wäre es eine Nebensache sprach Götz den riesenhaften Knecht an: »Willst du mutig sein? Oder gibst du deine Waffen freiwillig her?«
Kein Zögern. Der Tapfere schrie, riss das Schwert heraus, gab seinem Pferd die Sporen. Wiehernd sprang das Tier nach vorn. Der Satz war zu kurz, Speere fingen ihn ab, tief drangen die Klingen

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