Riemenschneider
er den angetrunkenen Geistlichen vom Hocker: »Und Euch rate ich: Kein Fluchen, kein Geschrei auf der Straße, und vergesst die Leuchte nicht, oder Ihr werdet Euren Rausch unten im Loch ausschlafen.«
Gemeinsam verließen beide Zecher die Schankstube des Rathauses. Bermeter stützte den Domherren, und ohne bemerkt zu werden, gelangten sie an der Wachstube vorbei auf die Straße.
Eine milde Nacht, Sterne umglitzerten den halben Mond. Tief sog Paulus Schroter den Atem ein. »Ich will dir sagen …« Weiter kam er nicht, die frische Luft berauschte jäh das ohnehin weinselige Hirn, und seine Knie versagten den Dienst. Der Spielmann vermochte ihn nicht zu halten, nur den Sturz zu mildern, und beide lagen auf dem Pflaster. Im letzten Moment noch, ehe die Blendlaterne wegschlitterte, bekam Bermeter den Henkel zu fassen und rettete das Licht. »Glück gehabt«, flüsterte er.
»Das wollt ich dir ja sagen.« Den Sturz hatte der Domherr gar nicht wahrgenommen, er setzte sich mühsam auf. »Ich … will auch Glück haben.« Die Zunge lag ihm schwer. »Du hast genug davon gehabt. Ich will Revanche. Jetzt!«
»Aber doch nicht hier vor dem Rathaus.« Bermeter zog ihn hoch. »Wir müssen weg, ehe die Wächter den nächsten Rundgang unternehmen.« Widerstandslos ließ sich Paulus Schroter führen, erst als sie in die Schustergasse einbogen, tauchte er aus dem dumpfen Nebel auf. »Wohin bringst du mich?«
»Zu deinem Haus.«
»Bist du des Satans?« Mit einem Ruck befreite er sich von dem stützenden Arm. »Da wartet meine Haushälterin, diese Hexe.« Der Gedanke schien ihn vollends zu ernüchtern, er schnappte nach seiner Laterne. »Ich will noch ein einziges Spiel.«
Die Dunkelheit verbarg das zufriedene Grinsen; Hans Bermeter gab sich überredet: »Weil Ihr es seid, weil ich nun mal einem frommen Herrn gefällig sein möchte.« Wo in der Nacht spielen, ohne von den Wächtern aufgegriffen zu werden? Nur ein Friedhof bot Schutz vor der Obrigkeit. »Gehen wir zu den Dominikanern.«
»Um Gottes willen. Nicht zu denen. Da hab ich kein Glück.« Er hatte sich entschieden, drehte sich um und wankte schon zurück. »Wir gehen auf unsern Leichhof.«
Zwischen Neumünster und Dom stiegen sie die Stufen hinauf. Süßlicher Geruch wehte ihnen entgegen, wurde stärker. Das Gittertor quietschte in den Angeln. Weil in der vergangenen Woche heftige Regengüsse niedergegangen waren und die Erde aufgeweicht hatten, dünstete der Domfriedhof Verwesung aus.
Paulus Schroter stützte sich an einen Grabstein, und nach kurzem Würgen entleerte sich sein Magen. »Jetzt …«, er hustete und spuckte, »jetzt geht’s mir besser.« Damit schwankte er weiter, kaum gelang es ihm, auf dem Pfad zu bleiben.
In der Mitte des Friedhofs kauerten sich die Spieler in den Schutz einer steinernen Ölberggruppe. Keine Patrouille würde das Licht der Blendlaterne von der Straße aus bemerken, und wenn ihr doch der Schimmer auffiel, so könnte er vom Ewigen Licht in der Nische zwischen dem verzweifelten Jesus und seinen schlafenden Jüngern herrühren.
Hans Bermeter wischte mit dem Ärmel die Grabplatte sauber. »Um wie viel soll es gehen?«
»Warte. Ich habe noch …« Das Öffnen des Lederbeutels gelang erst nach einigem vergeblichen Bemühen. Beim Zählen des Geldes glitten etliche Schillinge zwischen den Fingern hindurch und klimperten auf den Stein. »Da soll doch der Satan …«, schimpfte der fromme Herr vor sich hin. Sofort war ihm der Stadtpfeifer behilflich, klaubte die Stücke zusammen, nahm sich als Lohn heimlich die Hälfte und gab den Rest zurück. »Und an welchen Einsatz denkt Ihr?«
Paulus Schroter wollte erneut um einen Gulden spielen.
»Einverstanden.« Gleich legte Bermeter auch sein Goldstück auf die Mitte der Grabplatte und rückte die Laterne dichter heran. »Wir sind ehrliche Männer und wollen es bleiben. Deshalb, ehrwürdiger Freund, dürft Ihr wählen.« In jeder Hand bot er dem Mitspieler drei Würfel an, und Schroter tippte auf die Linke. »Du beginnst wieder.«
Während die Rechte umständlich die abgelehnten Würfel in der Tasche verstaute: Nur ein leichtes Drehen des Körpers, dazu eine schnelle Armbewegung, und die Gewählten waren ausgetauscht. Lange schüttelte Bermeter die aus Knochen geschnitzten Augenklötze. Mit hängender Kinnlade beobachtete ihn der Domherr, keuchte den vom Erbrochenen säuerlichen Atem stoßweise aus.
Dreimal die gleiche Punktzahl.
»Ich schäme mich.« Wie im Schmerz schlug sich der Stadtpfeifer gegen die Brust,
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