Riemenschneider
dabei fingerte er unbemerkt drei nicht präparierte Würfel aus dem Wamsaufschlag. »Aber das ist ein kleiner Bock. Der zählt schon fünf Punkte. Es tut mir aufrichtig leid.« Er beugte sich vor, las die Glücksbringer auf, und als er dem Mitspieler die offene Hand hinstreckte, lagen dort die anderen drei Würfel.
Bei keinem Wechsel bemerkte Paulus Schroter den Austausch, und kaum hatte er seinen Gulden verloren, fluchte er, beklagte sein Pech und verlangte noch eine Revanche.
»Nein, jetzt ist es genug.« Geschmeidig sprang Bermeter hoch. Er dienerte vor dem Betrunkenen. »Ein andermal stehe ich Euch wieder gern zu Diensten. Im Vertrauen, mich beginnt’s hier zu grausen, und bald geht es auf Mitternacht zu. All die Toten …«
»Hiergeblieben!«, grollte der Domherr und zeigte ihm die Faust. »Sonst werde ich …« Er verschluckte den Satz, hustete und erbrach sich erneut über der Grabplatte.
Diesen Augenblick nutzte Bermeter und verschwand in der Finsternis des Leichhofes. Als er durchs Eisentor schlüpfte, stieg hinter ihm das heillose Fluchen und Gestammel seines Opfers auf. Durch den Stoff der Rocktasche befühlte er die Münzen. »Hans, ich muss dich loben. Da hast du heute wirklich einen fetten Ganter gerupft.« Langsam rutschte seine Hand tiefer, er wog das Gewicht zwischen den Lenden. »Ich glaub, du hast dir eine Belohnung verdient. Und Durst hast du auch.«
Vom Grafeneckart her näherten sich Lichter, kamen rasch die Domstraße hinauf. Ohne seinen Mitspieler vor den Scharwächtern zu warnen oder ihm gar zu helfen, huschte der Stadtpfeifer an den Hauswänden entlang. So oft bei Dunkelheit erprobt, kannte er jede Gassenecke, und seit dem Tod des Vaters vor einem Jahr ging der Dreiunddreißigjährige, wann immer sich Gelegenheit bot, seinen Gelüsten nach.
Keiner lauerte ihm mehr des Nachts daheim an der Stiege auf. »Herumtreiber! Betrüger! Wann wirst du ein anständiger Mensch?« Wie hatte er die Vorwürfe des betrunkenen Alten gehasst.
Hans Bermeter verbarg sich in einem engen Durchstieg, hier konnte er ungefährdet abwarten, bis die Patrouille vorbeimarschiert war. Der Vater, der alte Hans Bermeter. Wie ein ungebetener Gast, der nicht zu vertreiben war, kehrte er immer wieder unvermittelt zurück. »Selbst war er ein versoffenes Schwein«, flüsterte der Sohn vor sich hin. »Aber an mir rumnörgeln.«
Nie hatte der junge Hans den Mut aufgebracht, die Hand gegen den Alten zu heben, selbst als erwachsener Mann noch hatte er Schläge mit dem Krückstock über sich ergehen lassen. »Nein, feige bin ich wirklich nicht.« Bei diesem Gedanken kicherte er in die vorgehaltene Hand. »Ich kann eben warten, bis die Gelegenheit günstig ist, und dann schlag ich zu.«
In jener Sommernacht vor einem Jahr war er beim ersten Taggrauen nach Hause gekommen. Übermüdet von Flötenspiel, Tanz und Wein hatte er in der Küche noch Wasser trinken wollen, dabei war ihm der Krug aus den Händen geglitten und auf dem Boden mit lautem Knall zerschellt. »Angeschlichen hat er sich.« Bermeter betastete seinen Nacken.
Der Lärm hatte den Vater geweckt, und während der Sohn noch auf Knien die Scherben zusammenlas, fiel er mit dem Stock von hinten über ihn her: »Faulenzer! Elender Schmarotzer! Ich werd dich lehren.«
»Hör auf, Vater. Ich hab gearbeitet, hab auf einer Taufe gespielt. Hör auf!« Die Schläge trafen wahllos den Rücken, den Nacken. »Lügner! Du lügst, wenn du das Maul aufmachst.« Selbst berauscht vom Wein genügten dem Alten stets die gleichen Vorwürfe, um sich in Zorn zu reden. »Auch deine Mutter, Gott hab sie selig, hat dir kein Wort geglaubt. Unten in der Werkstatt deines Großvaters, da sollst du arbeiten. Pergamente und Papier! Das ist unser Beruf.« Erschöpft hielt der Vater inne und ließ sich auf den Hocker fallen.
Wie ein geprügelter Hund kroch der Sohn zur Tür. Am Holm richtete er sich auf. Hier außer Reichweite des knorrigen Stocks fackelte Hass in seinem Blick. »Und du? Warum gehst du nicht selbst runter und rührst in den Bottichen? Nein, ich bin nicht faul. Aber du!« Er spuckte aus. »Ein Säufer bist du. Sonst gar nichts.«
»Wag es nicht!« Der Alte packte seine Krücke und wuchtete sich vom Hocker. »Wag es nicht, deinen Vater zu beschimpfen. Die Knochen werd ich dir brechen.« Doch ehe der große schwere Mann zuschlagen konnte, hatte sich der junge Hans bereits auf der Stiege in Sicherheit gebracht. Von unten wurden ihm noch einige Drohungen nachgeschickt, dann kehrte Ruhe im Haus
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