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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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nahe dem ehemaligen Judenfriedhof ein.
»Lang hat’s aber nicht gedauert …« Schritte schreckten Bermeter aus der Erinnerung. Die Scharwächter! In seinem Versteck kauerte er sich nieder. Wenn nur die Patrouille keinen Hund mit sich führte. Er hielt den Atem an, wagte nicht einmal, durch den schmalen Häuserspalt auf die Straße zu schauen. Erst als die Männer vorbei, ihre halblauten Stimmen nicht mehr zu verstehen waren, hob der Stadtpfeifer den Kopf und lehnte sich an die Hauswand. Um ganz sicher zu sein, war es besser, noch eine Weile zu warten, außerdem wollte er seinen Triumph noch einmal auskosten. »Besiegt hab ich ihn.« Er ließ die Finger wie kleine Puppen vor dem Gesicht tanzen. »Nein, schmutzig gemacht haben wir uns nicht.«
Bald nach dem Streit in der Küche hatte er oben in seiner Dachkammer entfernte Hilfeschreie vernommen, dann Rufe nach seinem Namen. Hans schlich die Treppe hinunter, folgte der Stimme durch den kleinen Flur in den Garten. Die Tür zum Abtritt stand offen. Vorsichtig spähte er hinein. Die Sitzbank war durchgebrochen. Er sah nackte, nach oben gereckte Unterschenkel, die Füße zappelten, rechts und links klammerten sich Hände an den Querbalken. Und aus der stinkenden Grube rief der Vater um Hilfe. Er hatte zwar die Kraft, sich festzuklammern, nicht aber genug, um sich selbst aus der Lage zu befreien.
»Was schreist du?«, erkundigte sich der Sohn vergnügt.
»Hilf mir, Junge. Zieh mich hoch!«
»Aber ja.« Hans bückte sich nach dem verhassten Stock, zerbrach ihn über dem Knie und warf die Stücke in die Jauche. »Ich schau mal, ob ich einen Strick finde.«
»Nein! Bei allen Heiligen, warte.«
»Halt dich schön fest, Vater.«
Leise schloss Bermeter die Holztür und lehnte sich von außen dagegen, er presste das Ohr an eine Ritze. Der Alte rief nach dem Sohn, flehte um Erbarmen. Dann der Schrei, gleich der Aufprall im Schlick aus Kot und Urin. Der Lauscher hatte gewartet, bis jedes Schlagen, jedes Geräusch endgültig verstummt waren, dann war er ins Haus zurückgeschlendert.
Hans Bermeter schnippte mit den Fingern. Als ich nachgeschaut hab, da war er schon hin. Und jeder hat mir geglaubt.
Von der Scharwache war längst nichts mehr zu hören. Geschmeidig verließ Bermeter sein Versteck zwischen den Hauswänden. Der Viertelmeister hat nur mit den Schultern gezuckt und das Kreuz geschlagen: Unser versoffener alter Hans ist beim Scheißen ins Loch gefallen und drin erstickt. So hat er es dann auch gemeldet.
Im inneren Stadtgraben lockte den Besucher nur ein spärliches Licht zum Haus der Dirnen. Durch die fest verschlossenen Fensterläden drang hin und wieder Gelächter nach draußen. Hans Bermeter pochte an der Tür. Nach einer Weile wurde sie einen Spaltbreit geöffnet, er gab sich zu erkennen und durfte eintreten. Noch im Flur raunte ihm der Wirt zu: »Sind gut zahlende Freier da. Kommen oben von der Burg. Reiß also dein Maul nicht so weit auf!«
»Kenne ich die?«
»Glaub nicht. Sind Fremde, gehören zu einer Delegation.«
»Werd mir die Herren mal anschauen. Vielleicht gibt’s eine Würfelpartie. Melchior, ich sag dir, heute bin ich unschlagbar.«
Der Wirt packte ihn grob am Kragen. »Hör auf zu prahlen! Noch sind die Männer mit zwei Mädchen oben. Und damit wir uns verstehen: Wenn sie runterkommen, dann hältst du dich zurück. Die Fremden sollen ihr Geld für meine Weiber und fürs Saufen ausgeben.«
Empört riss sich der Stadtpfeifer los. »Und mein Geld? Ist das etwa weniger wert? Wie viel hast du schon an mir verdient?«
»Reg dich nicht auf!« Melchior hob versöhnlich die Hand. »Hab ja gar nichts gegen dich. Wollt nur sagen, dass heute Fremde da sind, und die sollen sich wohl fühlen.«
»Ich etwa nicht?« Bermeter griff in die Tasche und ließ die Münzen klimpern. »Hörst du? Damit könnte ich mir heute Nacht alle Weiber leisten. Eine nach der anderen oder gleich alle zusammen.«
»Glaub ich dir aufs Wort.« Während der Wirt den späten Gast in die große Stube führte, setzte er hinzu. »Am besten du nimmst dir jetzt gleich eine und besorgst es ihr. Dann sehen wir weiter.«
Die Gespräche an den beiden langen Tischen verstummten. Einige der Frauen klatschten dem Spielmann zu, andere winkten ihn näher. Eng nebeneinander saßen sie auf der Bank am vorderen Tisch; nur drei von ihnen hatten sich mit Kunden an den zweiten Tisch gesetzt, sie blickten kurz über die Schulter und wandten sich wieder ihren Freiern zu. Warm war es. Kerzen flackerten in eisernen

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