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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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Bürgermeister ist heute früh überraschend vor das Domkapitel geladen worden. Mich hat man informiert, dass Hans Schmid rechtzeitig zum Beginn unserer Sitzung wieder zurück sei. Es kann sich also nur noch um Augenblicke handeln.«
Zu diesem Zeitpunkt hatte Meister Til nicht im Entferntesten daran gedacht, dass die Vorladung an den Nachfolger von Georg Suppan seinetwegen ergangen war.
Und auch jetzt noch wehrte sich alles in ihm: »Es will mir einfach nicht in den Kopf.« Hinter ihm nahm der Gesprächslärm zu. Zwar konnte er die Stimmen von Georg Suppan und anderer Freunde heraushören, bis auf einzelne Worte aber war der Inhalt nicht zu verstehen. »Über mich zerreißen sie sich das Maul.« In zornigem Aufwallen wollte er an den Fensterrahmen schlagen, drückte die Faust aber dann nur fest gegen die Wand.
Ohne den triefenden Schultermantel abzulegen, hatte der Bürgermeister die Versammlung eröffnet und war gleich zur Sache gekommen: »Freunde, werte Kollegen, da braut sich was zusammen. Der Vertreter des Bischofs und die Herren vom Domkapitel erheben schwere Vorwürfe gegen einen aus unserer Mitte.« Sein Blick wanderte in der Runde und verharrte bei dem Bildschnitzer. »Leider, lieber Freund. Ich halte den Verdacht zwar für völlig abwegig, aber dich haben sie im Visier.«
Til versteifte den Rücken, er wusste nicht, ahnte nicht einmal, wogegen er sich wappnen sollte, und so traf ihn die Anschuldigung völlig ungeschützt. »Unser oberster Baumeister wird verdächtigt, dass er im Namen der Stadt ungewöhnlich viel Holz und Bretter einkauft, diese nicht verzollt und mit Gewinn weiterverkauft hat. Es wird behauptet, dass er einen einträglichen Handel betreibt, und dies ausgerechnet am Zoll des Domkapitels vorbei.«
Nichts. Erstarrt saß Til nur da, für einen Moment schien der Vorwurf sogar das Hirn zu lähmen. Um ihn herum herrschte Betroffenheit, alle Blicke waren auf den Beschuldigten gerichtet. Altbürgermeister Suppan ergriff als Erster das Wort: »Diese Ratten. Dafür werden sie sich entschuldigen müssen. Ungesühnt darf niemand einem von uns Betrug vorwerfen. Das Rechnungsbuch wird die Unschuld beweisen.« Zögerlicher Beifall, doch Suppan forderte mit rhythmischem Klatschen mehr Zustimmung, und endlich rührten alle Anwesenden die Hände.
Sein Nachfolger im Amt griff zur Glocke. »Es eilt, Freunde und Kollegen. Deshalb lasst unsern ehrenwerten Meister Riemenschneider sich zur Sache äußern.«
Wie Nadelstiche spürte Til die Blicke im Gesicht. »Soviel ich weiß, habe ich mich nie persönlich am Holz bereichert. Aber das Rechnungsbuch weist sicher Lücken auf, weil ich mich nicht um Kleinigkeiten kümmere. Weil nicht jede unbedeutende Lieferung notiert ist.« Jähes Schweigen im Saal. »Außerdem habe ich hin und wieder Latten und Balken verschenkt, wenn einer sie nötig brauchte, aber nicht bezahlen konnte. Ich betrachtete solche Gaben als Almosen für Arme. Dadurch ist der Stadt wahrlich kein großer Schaden entstanden.«
Er suchte in den Mienen nach Verständnis, fand aber selbst bei Freunden nur Stirnrunzeln oder hochgezogene Brauen. Der Stadtschreiber räusperte sich. »Ich empfehle den Anwesenden dringend, die Sachlage ohne Kommentar hinzunehmen und einzig an die Abwehr der Beschuldigung zu denken.«
Da keine Vorschläge laut wurden, hatte Bürgermeister Schmid die Sitzung unterbrochen und die Wiederaufnahme in den Nachmittag verschoben. »Bis dahin sind wir aus dem Kapitelhaus zurück und werden berichten.«
Tilman Riemenschneider hatte als Erster den Saal verlassen und war im Flur zum entferntesten Fenster geflüchtet.
Ein freundschaftlicher Schlag auf den Rücken. Er wandte sich um. Georg Suppan war mit dem Stadtschreiber zu ihm gekommen. »Hab Vertrauen!« Der wohlgenährte Mann zückte das Sacktuch und trocknete sich den Schweiß von der Stirn. »Ich bin kurz rumgegangen, die Mehrheit steht hinter dir. Du siehst, jetzt zahlt es sich aus, dass du Freunde hast.« Er bog den Kopf zurück und zwinkerte ins Gesicht über ihm. »Natürlich wird eine kleine Gefälligkeit von dir erwartet, aber davon später. Und jetzt Kopf hoch und auf in den Kampf!«
Einen Atemzug lang schwindelte es Til. Also meint auch Georg, dass ich … Er wusste nichts zu antworten.
»Bist du bereit?«
Martin Cronthal reichte ihm mit leichtem Lächeln den Mantel. »Nicht dass du von oben nass wirst.«
»Da sitzen wohl die Domherren?«
»So habe ich es nicht gemeint«, entschuldigte der Stadtschreiber den missglückten

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