Riemenschneider
hatten sie ihn zwischen sich hin und her geworfen. Rückwärts tappte Bermeter wieder die Stufen hinauf und erschrak, als er gegen Lisbeth stieß. »Ich hab was vergessen«, zischte er. »Los, zurück!«
Erst in der geöffneten Kammertür wagte er, halblaut zu sprechen: »Ich muss verschwinden. Diese Kerle da unten wollen mich töten. Nein, frag jetzt nicht, antworte nur: Gibt es hier oben einen Weg nach draußen?«
Lisbeth zitterte, kurzatmig wies sie zum anderen Ende des Flurs. »Durch die Tür da. Dahinter gibt es eine Leiter. Aber Melchior hat sie abgeschlossen. Damit kein Freier abhauen kann. Ohne zu bezahlen.«
Bermeter huschte zur Treppe, lauschte, die Fremden hatten keinen Verdacht geschöpft, ahnten nicht, dass er hier oben war. Er gab dem Mädchen ein Zeichen. »Du gehst jetzt runter, sagst dem Melchior, dass mir in der Kammer übel geworden ist und er nachschauen soll. Aber sag’s ihm leise. Denk dran, das gilt schon als zweite Probe!«
Und Lisbeth bestand die Prüfung. Wenig später kehrte sie mit dem Wirt zurück. Seine erste Sorge galt der Kammer und dem Bett, als er nichts beschmutzt vorfand, war er bereit, Bermeter anzuhören.
»Die Kerle haben noch eine Rechnung mit mir offen. Wenn ich jetzt da runter gehe, dann gibt’s eine Prügelei. Und vorbei ist es mit dem guten Geschäft heute Nacht.«
»Wo du auftauchst, stiftest du Unheil.«
Lisbeth schüttelte heftig den Kopf. »Das stimmt doch gar nicht.«
Gleich wurde sie vom Wirt beiseitegeschoben. »Misch dich nicht ein!«
Sie aber wollte ihren Freier verteidigen. »Hans will mich sogar heiraten. Ich mein … Aber versprochen hat er es mir schon.«
»Was?« Trotz seines Ärgers starrte Melchior sie ungläubig an. »Also, das hat er zu dir gesagt?« Sie nickte ernsthaft. Da wandte er sich Bermeter zu und grinste wider Willen. »Du und deine Sprüche. Verfluchter Kerl, und immer findest du welche, die dir glauben.«
»Hilf mir! Lass mich hier oben raus, und du bist mich für heute los.«
Melchior griff nach dem Schlüsselbund. Ehe der Spielmann an ihm vorbei- und hinausschlüpfen konnte, drohte er: »Heiraten? Warte nur, Kerl! Ich werde dich daran erinnern.«
»Ich hab vielleicht gesagt.« Die rettende Nacht vor Augen, lachte Bermeter leise. »Mehr nicht.« Und er glitt, ohne die Sprossen zu nutzen, nur mit Händen und Füßen an den Leiterholmen in die Dunkelheit hinunter.
15
D ie Sitzung war unterbrochen. Tilman Riemenschneider stand im Flur vor dem Ratssaal und starrte durchs Fenster, weder den Regen noch die nassen Dächer auf der anderen Straßenseite, nichts nahm er war. »Das dürft ihr nicht tun«, murmelte er. »Ich habe nach Ehr und Gewissen gehandelt.«
»Und keiner zweifelt daran.« Neben ihm nahm Stadtschreiber Martin Cronthal die Brille ab und sah zu dem großen Mann hoch. »Verzeih, dass ich offen spreche: Dein Gekränktsein nutzt im Augenblick niemandem. Die Zeit drängt. In einer Stunde werden wir im Kapitelhaus erwartet. Bis dahin muss eine überzeugende Erklärung her, eine Erklärung, hinter der du wie auch das Ratskollegium stehen können.«
Til schloss die Augen. Mit Zeigefinger und Daumen der linken Hand presste er die buschigen Brauen zusammen. »Mein Wort muss doch genügen.«
»Nein, lieber Freund, im Gegenteil, gerade daraufhin werden sie dich zerreißen.«
»Da mühe ich mich als Baumeister um das Wohl der Stadt, kontrolliere Stadtmauer, Türme, Gräben, renne hin und her und vernachlässige dabei meine eigene Werkstatt … Und jetzt diese Unterstellung. Ist das der Dank?«
»Später. Bitte, lass uns darüber später reden.« Die Falten auf der hohen Stirn des Stadtschreibers vertieften sich. »Erlaubst du, dass ich eine schriftliche Antwort formuliere, die von mir nachher im Kapitelhaus als die deine vorgetragen wird?«
Mit einer knappen Handbewegung gab Til sein Einverständnis und blickte wieder in den grau verhangenen, nassen Oktober hinaus. Kein guter Tag, dachte er, nein, wahrhaftig kein guter Tag. Schon auf dem Weg ins Rathaus war er auf dem schmierigen Kot der herumstreunenden Schweine ausgerutscht, nicht gefallen, aber dann doch in die tiefe Pfütze getreten, über die hinweg er sich mit großem Schritt hatte retten wollen.
Alle Ratsherren waren pünktlich zur Sitzung erschienen. Für den durchnässten Mantel suchte jeder einen Haken, eine Lehne in der Nähe des Kamins, dann erst nahm er seinen Platz ein. Der Stuhl des Ratsvorsitzenden blieb leer.
Martin Cronthal sah vom Protokollbuch auf: »Unser verehrter
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