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Riesling zum Abschied

Riesling zum Abschied

Titel: Riesling zum Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Grote
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...«
    Johanna war unruhig, sie machte sich Sorgen um Thomas, Marquardt stand ihm nicht wohlwollend gegenüber, und der Junge hatte bei dem Überfall einfach nur Glück gehabt. Das mit dem Foto schien Marquardt zu beunruhigen.
    »...   zu den energetischen Aspekten gehört, dass wir den Blick auf die gerechte Entlohnung der Menschen richten. Familienbetriebe, die bei sechzig bis siebzig Arbeitsstunden pro Person und Woche ihren Riesling dann für zwei bis drei Euro die Flasche verkaufen, verbrauchen letzten Endes ihre Substanz   ...«
    Das betraf sicher viele Winzer, aber Regine bezog es wohl auf den häuslichen Betrieb, dachte Johanna und sah zu ihr hin. Sie saß da mit gesenktem Kopf. Dafür reckte Marquardt den Hals, starrte Thomas hinterher und sagte etwas zum Kollegen neben sich. Die Worte des Redners rauschten an Johanna vorbei, sie beobachtete den Professor, der den Hörsaal durch die untere Tür verließ. Er hatte es ziemlich eilig.
    »...   und wer will seinen Betrieb schon an die Nassauische Sparkasse abtreten? Der Selbstmord von Erwein Graf Matuschka-Grei ff enclau
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sollte uns alarmieren. Ihm hat es nicht an Können als Winzer gefehlt, ihn haben die Kosten der Liegenschaft des Schlosses Vollrads in den Konkurs getrieben   ...«
    Der Redner hat recht, dachte Johanna, aber sie schweifte mit ihren Gedanken wieder ab. Was hatte Thomas ihr verheimlicht? Wer war auf dem Foto, das er herumzeigte, und warum berührte das den Professor? Hoffentlich tat Thomas nichts Unüberlegtes, das ihn den Studienplatz kosten könnte. Sollte sie sich einmischen? Nein, dann wäre nach außen hin ihre Parteilichkeit klar, und Gerüchte hätten neuen Nährboden.
    »...   legt man gleiche Maßstäbe an, so hätte das Staatsweingut Kloster Eberbach längst geschlossen werden müssen. Allein dem Land Hessen werden jährlich
307   000
Euro als Zinsen überwiesen. Wie soll das Weingut solche Beträge erwirtschaften, seine Kosten tragen und den Kredit tilgen? Aber so ist es, wenn ein Ministerpräsident sich auf Kosten der Steuerzahler ein Denkmal setzt. Der Verkauf von immer mehr Wein zu immer höheren Preisen und die Entlassung von immer mehr Mitarbeitern zeigen uns keinen Weg aus der Krise. Glücklicherweise sind wir hier vom österreichischen Wahn, uns von Stararchitekten neue Keller bauen zu lassen, verschont geblieben, der Rheingau wurde nicht zum Bollywood des Weins, an dem wir uns in spätestens zehn Jahren übergesehen haben   ...«
    Johanna rutschte unruhig auf ihrem Platz hin und her. Wenn nun die Maler anrückten und mögliche Spuren in der Lorcher Wohnung beseitigten? Oder hatte sie sich verrannt und jemanden, der zufällig dort herumgelaufen war, mit Alexandra verwechselt? Sie zermarterte sich den Kopf darüber, wen sie damals gesehen hatte. Sie nahm jetzt nur noch Bruchstücke des Vortrags auf. Es war ihr wichtig, dass anstelle von Schwefel im Bio-Weinbau immer häufiger und auch mit Erfolg Backpulver oder besser gesagt Natriumbikarbonat |298| verwendet wurde, weil es außen auf der Pflanze blieb und nicht in den Saftstrom gelangte. Aber die Frage, in welcher Beziehung Florian und Marquardt zueinander standen, beschäftigte sie im Moment mehr. Was hatte der Professor damit gemeint, dass es Manuel Sterns größter Fehler gewesen sei, den Anwalt zu wechseln?
    »...   nur die innovativen Betriebe sind der Garant für das Überleben kleiner und mittlerer Weingüter, der Familienbetriebe. Nur was ist Qualität? Zehn unterschiedliche Weine können alle großartig sein, nur werden sie individuell ganz unterschiedlich erlebt. Und das ist von der Mode und weniger von der Qualität abhängig. Pinot Grigio hat seinen Hype erlebt, aber Grauburgunder mochte man nicht. Der hatte sich während der Italien-Welle bei uns längst von der Uniformität hin zur Individualität bewegt. Vom Barriquegeschmack kommt man glücklicherweise auch wieder weg, und jetzt erlebt der Riesling seine Renaissance. Die Öko-Winzer müssen jetzt den Sprung vom Weinberg in den Keller wagen, auch da hat sich Uniformität breitgemacht. Es ist klar, dass man einer Spontangärung nicht vertraut, wenn man die natürlichen Hefen abtötet, wo nur noch ein einziger Klon, tausendfach vermehrt, uns uniforme Weine liefert. Und das begreifen allmählich auch die Großproduzenten.
    Also lautet die Frage: Welchen Wein will ich machen – einen Industriewein, den handwerklichen oder den eines Künstlers   ...«
    Der Redner war längst noch nicht zum Schluss

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