Riesling zum Abschied
gekommen, doch sie hielt es hier nicht mehr aus. Sie nickte den Studenten neben sich freundlich zu, die halbe Reihe musste ihretwegen aufstehen, sicher wurde es bemerkt, dass gerade sie den Hörsaal verließ. Vor der Tür traf sie auf Regine. Offensichtlich hatte sie sich mit Thomas abgesprochen.
»Was haben Sie vor?«, fragte Johanna. »Wo ist Thomas hin? Wieso hat er den Vortrag verlassen? Es ist doch sein Thema. Ich hoffe, dass er ...«
|299| Regine druckste heute zum ersten Mal nicht herum, sie schaute Johanna offen in die Augen. »Ihr Thema ist es auch, Frau Breitenbach. Thomas trifft sich mit Manuels neuem Rechtsanwalt. Es sieht so aus, als hätte Vormwald die Haftprüfung absichtlich verpatzt. Manuel hat berichtet, dass er ihm vorher gesagt hat, was er vor dem Staatsanwalt sagen soll, daran hat er sich gehalten. Vor den Folgen hat er ihn nicht gewarnt. Und jetzt tut er, als ob ...«
»Das weiß ich«, unterbrach Johanna. »Wo ist Thomas hin?«
»Er will herausfinden, wer die Kapuzen auf ihn gehetzt hat. Er meint, dass der Auftraggeber auch den Anwalt auf die Polizeiwache geschickt hat.«
»Ich hoffe nur, dass Thomas nichts Unüberlegtes tut. Wollen Sie nicht weiter zuhören?«, fragte Johanna. »Ich finde es sehr spannend.«
»Es ist nur bedingt mein Thema. Mich interessiert die Chemie, die Mikrobiologie, Genforschung, alles was klein ist«, sie lachte verschmitzt, »und was so groß ist wie Maschinen. Weshalb das so ist? Ich habe immer schon gern gebastelt.«
Die Gelegenheit durfte Johanna nicht ungenutzt lassen, ihr kam eine Idee. »Wie gut kennen Sie Herrn Florian?«
»Den Chemiedozenten? Was wollen Sie wissen?
»Alles. Befasst er sich mit Genforschung?«
»Nein. Das habe ich anfangs auch gedacht, das ist Marquardts Domäne, das und Pflanzenschutz, dazu konventionelle Spritzmittel. Er hat eben nur zugehört, um sich mit Gegenargumenten zu bewaffnen. Darüber hinaus interessiert er sich für alles, was die Forschungsanstalt treibt. Aber er steigt nicht selbst ein, er schickt seine Studenten vor, so wie Alexandra. Ich habe mich umgehört. Ab und an hat er über Gentechnik geredet, hat sie erwähnt, er findet’s unverantwortlich, da nicht mitzutun. Neulich hat er sich höllisch darüber aufgeregt, dass in der Schweiz und in Frankreich |300| die Freilandversuche mit genetisch veränderten Rebstöcken verwüstet worden sind. Man glaubt, dass es Studenten dieser Forschungseinrichtungen selbst waren, sie haben die Rebstöcke abgehauen. Marquardt nannte das unverantwortlich, Vernichtung von gesellschaftlichem Wissen und öffent lichen Ressourcen, sieben Jahre Forschung seien für die Katz, na, Sie kennen dieses Geschwätz ...«
»Und was halten Sie davon?«
»Genauso wenig wie Sie! Sie sind auch nicht dafür, nach allem, was man über Sie weiß.«
Einen Moment lang wollte Johanna nachfragen, was man denn noch über sie wusste, aber sie beließ es bei der Frage, was das Ziel dieses Freilandversuches gewesen sei.
»Es geht immer um Geld. Angeblich ging es um Resistenzbildung gegen Mehltau und gegen die Reisigkrankheit. Das Genom der Kartoffel ist einfach aufgebaut, wie bei allen einjährigen Pflanzen. Sind sie aber mehrjährig und bilden auch noch Phenole, das sind Tannine und Aromen des Weins, wird es kompliziert. Bei einer Selektion wird ausgesucht, bei Genen wird Artfremdes eingesetzt. In den neunziger Jahren gab es Versuche in der Anstalt für Rebenzüchtung in Geilweilershof. Da wurden Gene in den roten Dornfelder eingebracht, zum Nachweis einer Farbveränderung. Dann sollte Riesling widerstandsfähiger gegen Mehltau gemacht werden, um weniger Spritzmittel einsetzen zu müssen und so Kosten zu sparen. Vielen Winzern wäre das recht, sie argumentieren, dass Australier und Chilenen nicht schlafen, und die würden nicht von überholten Gesetzen behindert ... Aber es geht um Geld, wie ich sagte, darum, an jedem Rebstock zu verdienen. Wissen Sie, wie viele Millionen davon in Europa wachsen?«
»Nein«, sagte Johanna.
»Ich auch nicht«, sagte Regine, und beide lachten lauthals, bis laute Schritte im Foyer ihr Gelächter unterbrachen. Professor Marquardt kam hereingestürmt.
|301| »Jemand hat mir auf dem Parkplatz zwei Reifen zerstochen! Vorne und hinten. Eine Unverschämtheit. Wenn ich den Kerl erwische ...«
Johanna blickte Regine forschend an und hatte den Eindruck, dass ein Ausdruck von Befriedigung über ihr Gesicht huschte. Hatten beide denselben Gedanken, dass Thomas
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