Riesling zum Abschied
dann setzten sie sich an den Tisch ihres kleinen Wohnzimmers. Es war Zeit für die nächsten Schritte, und es hatte den Anschein, als kämen die Dinge ins Rollen. Da musste jeder weitere Schritt gut überlegt sein.
Johanna zog einen Stapel ungeordneter Papiere aus ihrer Aktentasche, während sie darüber sprachen, wer die Frankreich-Datei gelöscht haben könnte, und kamen zu keinem Ergebnis, auch nicht bezüglich der Frage, wer Johanna öffentlich in Verlegenheit hatte bringen wollen. Sie erinnerte sich, ihr Zimmer eine knappe Viertelstunde lang verlassen zu haben, während ihr Laptop eingeschaltet war. Nur in dieser Zeitspanne konnte es geschehen sein, sonst machte ein Passwort den Zugang unmöglich.
Thomas fand den Prospekt eines Weingutes zwischen Johannas Papieren, zog ihn heraus und blätterte darin. Neben den üblichen Flaschen waren Fotos vom Weingut und Steillagen am Rhein abgedruckt, daneben eine Reihe kleiner Fotos vom letzten Weinfest.
Johanna unterbrach ihren Satz, als sie bemerkte, dass er sie fragend ansah. »Was ist? Haben Sie etwas entdeckt?« Sie beugte sich über den Tisch, um zu sehen, welches Bild seine Aufmerksamkeit erregt hatte.
»Haben Sie mir das hier aus einem besonderen Grund vorenthalten oder haben Sie’s übersehen?« Thomas schob ihr den Prospekt zu. »Haben Sie eine Lupe? Wenn mich nicht alles täuscht, dann ist Alexandra da drauf. Neben ihr auf dem mittleren Foto steht unser geschätzter Professor. Den anderen Mann kenne ich nicht.«
»Sie sind jünger«, sagte Johanna fast ein wenig schuldbewusst und stöhnte. »Ich brauche wohl eine Lesebrille.« Die Erkenntnis war nicht neu, jedoch verschob sie den Besuch beim Augenarzt seit geraumer Zeit. Sie holte die Lupe und beugte sich mit ihr vor dem Auge über besagtes Foto.
»Ich habe mir den Prospekt gar nicht angeschaut, ich muss ihn bei Laquai eingesteckt haben. Sie haben wirklich |325| bessere Augen. Das sind Alexandra und Dr. Marquardt! Ich weiß auch, wer der Mann daneben ist, obwohl ich ihn nur ein einziges Mal gesehen habe. Das ist der Mann, der die Wohnung in Lorch gemietet hat. Es ist Waller.«
»Alle zusammen? Zeigen Sie her.« Thomas griff nach der Lupe und dem Prospekt, er riss ihn Johanna fast aus der Hand. »So sieht er aus? Was hatte der mit Alexandra zu tun?«
»Wieso fragen Sie mich das? Fragen Sie ihn.«
»Sie haben bestimmt einen Internetzugang – wie blöd von mir, dass ich nicht früher darauf gekommen bin. Ich hätte längst nachsehen sollen ...«
Die Homepage vom Chem-Survey war schnell gefunden. Da fand sich ein besseres Foto von Waller, strahlend, selbstbewusst, Respekt und Vertrauen einflößend, ein Mann, dem man die »integrierten und nachhaltigen Problemlösungen«, von denen auf der Seite gesprochen wurde, zutraute. Das eigentlich Interessante war das Aufgabengebiet von Chem-Survey: Es sollte eine Plattform zur Unterstützung von Forschern der Chemiebranche sein. Chem-Survey wollte Wissenschaftlern helfen, Partner in der Industrie für die Weiterentwicklung ihrer Ideen zu finden, um sie zur Patentreife zu entwickeln. Ein anderes Feld war die Verwaltung eben jener Patente für die Erfinder. Ein Rechtsanwalt, spezialisiert auf Patentrecht, stand auch für die ersten Beratungen honorarfrei zur Verfügung. Der Name einer Kanzlei war angegeben.
Thomas fand ihre Homepage mit den Kontaktdaten in Frankfurt und rief dort an.
»Nein, für Rechtsberatung ist Herr Dr. Vormwald zuständig. Er ist morgen wieder im Hause. Sollen wir zurückrufen?«
Thomas legte einfach auf. »Vormwald!«, sagte er nur.
»Ach ja? Na, dann schließt sich der Kreis?«
»Scheint so.« Thomas machte ein Gesicht, bei dem sich Johanna gut vorstellen konnte, dass er mit diesem Ingrimm auf die Kapuzen losgegangen war.
|326| »Ich habe auch eine Idee, wie wir weiterkommen. Sie ist gut, aber sie umzusetzen, würde mir schwerfallen. Können Sie mir das nicht abnehmen und Manuels Vater anrufen und ihn über Wallers Firma ausfragen? Bei seiner Position kennt der Hinz und Kunz in der Branche. Mich kann er nicht ab, der hat sogar versucht, mir Besuchsverbot erteilen zu lassen – über Vormwald. Aber da hat Manuel sich quergestellt.«
Den Anruf nahm Johanna Thomas gern ab. Sie sah auf die Uhr. »Dann mal los. Haben Sie die Rufnummer?« Sie stellte den Lautsprecher des Telefons auf Raumklang und wählte. Sie gelangte direkt zur Sekretärin von Herrn Stern und trug ihr Anliegen vor: »Es geht um die Mordanklage gegen seinen
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