Riesling zum Abschied
viel. Sie ging ins Bad, wusch sich das Gesicht, zog nicht einmal den Lidstrich nach, alles andere war ihr sowieso verhasst – das Schminken, die Maskerade, wie sie es nannte. Als sie zurückkam, war ihr anzusehen, dass ihr der sentimentale Ausrutscher peinlich war. Thomas wartete auf eine Erklärung. Hatte ihre Verwirrung mit dem neuen Lover zu tun?
Sie setzte sich an den kleinen Tisch in der Küche, stand auf, ging zum Kühlschrank, nahm Butter heraus und setzte sich, dann stand sie wieder auf und nahm den Rest vom Sonnenblumenkernbrot aus dem Brotkasten, und als sie sich wieder auf den Stuhl setzte, merkte sie, dass sie weder ein Messer aus der Besteckschublade noch den Käse aus dem Kühlschrank genommen hatte und auch keinen Teller. Sie lachte selbst über ihr konfuses Benehmen, noch immer mit Tränen in den Augen.
»Du bist doch nicht nur Manuels wegen so durcheinander«, bemerkte Thomas.
Regine reagierte spitz. »Studierst du Önologie oder Psychologie? |98| Aber heute sind wir irgendwie alle im falschen Film.« Sie setzte sich wieder, stand auf, steckte zwei Scheiben Brot in den Toaster und sah zu, wie die dünnen Drähte zu glühen begannen. »Er findet es nicht gut, dass ich mit zwei Männern zusammenwohne, ›mit zwei Jungs‹. Kaum lernt man jemanden kennen und lässt sich auf ihn ein, fängt er an, einen ändern zu wollen. Ist das immer so? Wieso mischt er sich ein?«
Sie konnte nur Thorsten meinen. »Ist er eifersüchtig?«
»Woher soll ich das wissen? Er ist kein alter Knacker. Aber mit achtundzwanzig wohnt er noch bei seinen Eltern, und Mama macht die Wäsche. Wieso nicht, sagt er, wenn man sich mit seinen Eltern gut versteht? Er tut alles, was sein Papa sagt, und findet alles toll. In einer Wohngemeinschaft gäbe man seine Individualität auf, meint er, seine Privatheit, und vielleicht klaut einer – einer von euch. So ein Idiot!« Sie ballte die Fäuste
»Bring ihn doch mal mit.«
»
Dead or alive
?«
Es dauerte vier Sekunden, bis Thomas verstand. »Dann besser nicht, besonders wo einer von deinen Jungs als Mörder verdächtigt wird. Hast du davon erzählt?«
»Quatsch. Thorsten würde in Ohnmacht fallen. Ich bin sowieso gespannt, was morgen an der FH abgeht, wie sie reagieren, wenn sie davon hören.«
»Sollen wir besser das Radio einschalten, ob sie schon was bringen? Da werden einige sich zu profilieren verstehen.«
»Du hast bestimmt jemanden im Visier, Thomas.«
»Klar, die Rosa Handtaschen, Alexandras dämliche Freundinnen. Sie werden alles brühwarm zum Besten geben. Die lassen sich die Gelegenheit nicht entgehen. Jetzt kommen sie groß raus, wie neulich schon.«
»›Die besten Freundinnen des Opfers‹«, habe ich am Wochenende im Rheingau Echo gelesen«, sagte Regine. »Dabei haben sie Alexandra nicht mal das Schwarze unter den Nägeln gegönnt.«
|99| »Da war nichts schwarz«, knurrte Thomas, »von denen hat nie eine im Leben einen Weinstock angefasst.«
»Stimmt. Die haben Alexandra nur beneidet, am schärfsten waren sie auf Manuels Auto.«
Der Toast war fertig, Regine aß, Thomas lehnte am Herd, sah ihr zu und wippte nervös mit den Beinen. In der Küche herrschte Dämmerlicht, es traf ihre Stimmung. Etwas war kaputt, das Gefüge stimmte nicht mehr, sie waren beide aus dem Gleichgewicht. Thomas hatte sich vollständig auf Manuel eingelassen, als wäre er der Bruder, den er sich immer gewünscht und von dem er eine Art Idealbild entworfen hatte. Er hatte sich auf Regine und das Zusammenleben eingestellt, und jetzt waren sie nur noch zu zweit, ihre Dreiheit war zerstört, sie mussten ein neues Gleichgewicht finden.
»Diese Chemischen Werke, von denen du gesprochen hast«, sagte Regine plötzlich in die Dämmerung hinein, »die CWML, was produzieren die? Pflanzenschutzmittel?«
»Agrogifte – würde ich das nennen, chemische Keulen, Unkrautkiller, Glufosinate, aber was ist Unkraut? Wir begrünen, damit wieder Leben in unsere neuen Weinberge kommt. Nichts von dem, was sie herstellen, steht auf der Liste, die wir als Bio-Winzer verwenden dürfen.«
»Ist Manuels Vater Chemiker?«
»Keine Ahnung. Hat er uns das nie gesagt? Ich glaube, er ist Finanzfachmann, der produziert Geld, egal womit.«
Regine starrte vor sich hin, sprunghaft wechselte sie von einem zum anderen Gedanken, Thomas hatte noch immer nicht begriffen, wie sie dachte.
»Was haben sie eigentlich für Beweise gegen Manuel?«
»Von Beweisen hat der Kommissar nicht gesprochen. Sie haben sein Zimmer auf den
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