Riesling zum Abschied
wahrgenommen, und sogar an Pampelmuse erinnerte er sich. Eigentlich hielt er immer weniger vom Zerlegen des Geschmacks, außer man entdeckte Fehltöne oder musste ihn analysieren. Aber das taten ihre Kunden auch nicht. Die Petrolnote nach dem Öffnen des Geheimrat J verging sehr schnell, dann war der Gesamteindruck entscheidend. Die Weine erreichten immer die gleiche Qualität, aber drei Jahre musste man schon warten, bis der Jahrgang auf der Höhe war.
Wie lange würde er auf Manuel warten müssen, bis er wieder mit ihm auf Probiertour gehen konnte? Vorsichtig verließ er die Wohnung. Auf dem Flur begegnete er niemandem, als er den Fahrstuhl brummen hörte, lief er im Treppenhaus nach unten. Er war sicher, dass ihn niemand gesehen hatte.
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Dass dieser Gewölbekeller im 17. Jahrhundert gebaut worden war, gehörte im Rheingau nicht zu den Besonderheiten. In den Burgen der Toskana war Johanna durch noch ältere und größere Keller geirrt, war unter mehr oder weniger bröckelnden Gewölbebögen hindurchgeschlichen, beeindruckt von Deckenkonstruktionen und kunstvollem Mauerwerk, den Geruch von Esther, Wein und vom Holz des Barrique in der Nase. Ein wenig hing auch diese für Weinkeller typische Geruchsmelange in dem Gewölbe des Weinguts Balthasar Ress, obwohl es einem gänzlich anderen Zweck als der Weinbereitung zugeführt worden war. Es war eindeutig ein Weinkeller, allerdings mit dem Charakter eines Tresorraums, die Beleuchtung machte ihn feierlich wie die Grabkammer eines Potentaten, und in den von Leuchtdioden matt erhellten Käfigen hätten urzeitliche Tiere liegen können. Aber hinter den Gittern lagen Weinflaschen: alt, selten, und die meisten von ihnen waren teuer bis kostbar.
Marquardt hatte Johanna in die WineBank eingeladen, wo ein Freund von ihm seine besten Weine eingelagert hatte, da ihm in seinem Haus der rechte Ort für die sachgerechte Lagerung fehlte.
»Hier stimmen Feuchtigkeit und Temperatur, und die LEDs strahlen kein U V-Licht ab, das dem Wein schaden könnte.«
Mehr sagte er nicht, sich der würdevollen Wirkung des |141| Ortes bewusst und wohl auch der repräsentativen Umgebung. Johanna folgte ihm schweigend in der teils feierlichen, für sie auch bedrohlich wirkenden Atmosphäre auf den Tresen zu, über matt geschliffene Schieferplatten aus dem nahen Bacharach, eingebettet in gestreuten groben Quarzit aus dem Taunus. Es hätte ein Ort für schwarze Messen sein können. Marquardts Freunde hatten die Flaschen längst geöffnet und die Gläser gefüllt.
Er war in Begleitung von zwei Herren in seinem Alter, Anfang bis Mitte fünfzig, in eleganten Anzügen und mit Krawatte, der schlankere von beiden hatte einen wattierten Anorak umgehängt, den er Johanna lächelnd anbot. Sie nahm das Angebot an.
»Holger hätte auf die Kälte hinweisen müssen, aber das Essen nachher wird uns aufwärmen. Jetzt allerdings werden wir uns für den Wein erwärmen, und der wird kühl getrunken.« Der Herr, der das gesagt hatte, war Dauernutzer dieses Kellers und stellte sich mit einer Verbeugung als Peter Waller vor, Inhaber der Firma Chem-Survey aus Mainz, »eine Art Maklerbüro für Forschungsprojekte«.
»Den Doktortitel lässt er aus Bescheidenheit weg«, bemüßigte sich Marquardt zu erklären, »doch beim Wein ist er weniger bescheiden. Dort drüben«, der Professor wies auf eines der größeren vergitterten Fächer, »liegen seine Weine. Kein Wunder, dass er sie hier in Sicherheit gebracht hat. Es sind Bordeaux aus den siebziger Jahren, Châteauneuf-du-Pape von den besten Gütern, die Loire ist vertreten, Elsass – und natürlich unser Rheingau.«
»... vergiss die Raubeine aus Gigondas nicht.«
»Die liebt er geradezu«, erklärte Marquardt, »vielleicht lässt er sich erweichen und öffnet zur Feier des Tages mal eine zehn Jahre alte Flasche.«
»Sind eigentlich alle deine Kolleginnen so charmant?« Waller strahlte Johanna an.
Johanna nahm das platte Kompliment lächelnd hin. War |142| »charmant« nicht ein Kompliment für die Frau jenseits der fünfzig? Bis dahin war es noch ein Weilchen. Da sie die Anwesenden nicht einschätzen konnte, spielte sie mit, schwieg und lächelte eben »charmant«. Die Männer würden sich weiter aus dem Fenster lehnen, gerade in dem Alter, wenn der Kamm die Farbe verlor, spielten sie besonders gern den Hahn. Auf den Wein aus Gigondas im Rhônetal allerdings war sie gespannt, sie würde demnächst für eine knappe Woche wegen eines Auftrags dorthin reisen
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