Riesling zum Abschied
und hatte keine Vorstellung von den dortigen Weinen. Ein deutscher Winzer hatte sich in der Gemeinde eingekauft und sie um Vorschläge zum Energiesparen gebeten und um »seine CO 2-Bilanz « zu verbessern.
Der Ältere am Tresen, in schwarzem Polohemd zum matt glänzenden schwarzen Anzug, das Haar grau meliert, bullig und gleichzeitig wach, war Rechtsanwalt – und ein diskreter dazu. Seine Vorstellung übernahm Marquardt.
»Dr. Vormwald ist ein anerkannter Strafverteidiger. Er hat sich freundlicherweise bereit erklärt, trotz seines überquellenden Terminkalenders, die Verteidigung unseres glücklosen Studenten zu übernehmen. Ich bin der festen Überzeugung, dass er bei ihm in besten Händen ist. Nicht wahr, Otto? Stern war auch einer von Frau Breitenbachs Studenten«, sagte er zu ihm gewandt, »und wenn ich Sie richtig verstanden habe, Frau Kollegin, auch einer der gescheitesten, oder?«
»Das kann man so sagen«, entgegnete Johanna vorsichtig, denn die Wortwahl des Professors gefiel ihr nicht. Zum einen störte sie der »glücklose Student«, zum anderen, dass bereits von »Verteidigung« gesprochen wurde, wo nicht einmal Anklage erhoben worden war. Sollte das heißen, dass Manuel in diesem Kreis als schuldig angesehen wurde? Das ging ihr zu weit und zu schnell.
»Trinken Sie nichts? Wir probieren heute hier die wunderbaren Weine des Direktors der WineBank, Christian |143| Ress. Es sind Erste Gewächse von ausgesuchten Lagen, und die gehören zum VDP.«
Das war sie wieder auf Männer getroffen, die ihr nicht die Welt, so doch zumindest den Wein erklären wollten. Was hatte sie erwartet? Über die technische Seite der Weinbereitung war sie im Bilde, das brachte ihre Arbeit mit sich. Doch ob die Säure des Rieslings nun feinstrahlig war oder spitz, ob ein Wein zäh war, abgepuffert, etwas hart im Ansatz oder lang im Abgang, entzog sich ihren sprachlichen Möglichkeiten und auch ihrem Verständnis. Fülle und Dichte im Gegensatz zu dünn und leicht, das erschloss sich, aber was der Rechtsanwalt zur muskulösen Festigkeit und Statur sagte, blieb ihr verborgen. Die fruchtbetonten Säurespiele waren ihr ebenfalls ein Rätsel, und als Waller eine durch die Konzentration an Mineralstoffen leicht angeraute Textur erwähnte, stieg sie aus. Und sie hasste es geradezu, dabei zuzusehen, wenn alles ausgespuckt wurde. Dazu war der Wein, den sie im Glas hatte, zu gut und zu schade. Sie schmeckte Süße und Säure, und trotz der Süße, es war eine Spätlese, empfand sie den Wein keineswegs als dick oder pappig, sondern als sehr lebendig. Sie nahm die Flasche in die Hand und betrachtete das Etikett: Hattenheim Nussbrunnen.
»Der Wein stammt von tiefgründigem Lehm-Löss-Boden«, erklärte Marquardt, der nicht zum ersten Mal diesen Wein probierte. »Weine von dieser Erde sind dichter und voller als andere, das liegt auch an der südlichen Exposition.«
Johanna wusste nicht, was für ein Gesicht jetzt angebracht war. Sollte sie verständnisvoll nicken oder fragend die Augenbrauen hochziehen? Sie entschied sich für Letzteres, es gab den Männern die Gelegenheit zu weiteren Erklärungen.
»Exposition bedeutet Ausrichtung«, erklärte jetzt der Rechtsanwalt lapidar, als würde er über die bekannteste |144| Sache der Welt reden. »Die Lage Nussbrunnen ist nach Süden und Osten ausgerichtet, die Weinstöcke haben den ganzen Tag über Sonne. Das macht sie reif und aromatisch. Diesen Vorteil haben die meisten Lagen im Rheingau, genau das hebt unsere Weine von denen anderer Weinbaugebiete ab.«
Behaupten konnte man alles, ob es der Wahrheit entsprach – wer sollte das beurteilen? Johanna fehlte Erfahrung, ihr fehlte auch die Lust, mehrere Weine hintereinander zu probieren. Wenn sie einen gefunden hatte, der ihr schmeckte, dann blieb sie dabei. Das hier hätte Carl gefallen, er hätte sich mit Inbrunst in die Debatte gestürzt.
»Vielleicht erklären Sie mir, wie man sich am besten durch die Bezeichnungen Kabinett, Spätlese, Auslese und so weiter durchfindet, Herr Dr. Vormwald?«
Ein mitleidiger Zug spielte um seinen Mund, die Milde gegenüber der Welt, die das Genie verkannte. Es war interessant zu verfolgen, was für eine Verteidigung dieser Mann dem glücklosen Studenten angedeihen lassen würde.
»Ich habe meine eigene Bewertungsmethode entwickelt, und es ist meines Erachtens nach die einzig richtige. Ich gehe ausschließlich vom Wert, vom Aussehen, vom Duft und dem Geschmack des Weins aus. Der Name auf dem Etikett
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