Riesling zum Abschied
nächsten Regierung.«
»So einfach ist das?«, fragte Thomas.
»Ja, so einfach ist das«, wiederholte der Passagier und suchte in der Hosentasche nach Kleingeld, um die Überfahrt zu bezahlen.
Was er eben gehört hatte, verdarb Thomas die Laune. Die Überfahrt war für ihn eine Art Zäsur, ein Schnitt zwischen dem Studium und der Geisenheimer Welt und der neuen Welt, die er mit seinem Vater und Manuel aufbaute. Die Freundin seines Vaters gehörte zwar dazu, aber sie gehörte nicht zur Mannschaft ihres Schiffes, sie war mehr ein Passagier, zwar in der ersten Klasse, aber nicht auf der Kommandobrücke.
Regine dagegen hätte er gern in seiner Mannschaft gehabt. Bei ihrem Vater und der angeblich miesepetrigen Mutter blieb ihr nichts anderes übrig, als ins Exil zu gehen, bis der Alte nach der Tochter rufen würde, damit sie den Betrieb übernahm. Bis dahin würde er in seiner Beschränktheit das Weingut in den Ruin gewirtschaftet haben.
Die Fähre schwankte, die Bewegung riss Thomas aus seinen Betrachtungen. Er dachte daran, wie dieser Fluss sein |168| Leben bestimmte, er floss quasi durch sein Leben, seit sie von Marburg nach Köln gezogen waren.
Da verlangsamte die Fähre ihre Fahrt und näherte sich der Rampe. In diesem Moment bemerkte Thomas den jungen Touristen mit der Kamera, der Sonnenbrille und dem Basecap, dessen Schatten das Gesicht verdeckte. Thomas meinte, dass er sein Objektiv auf ihn gerichtet hatte, aber wahrscheinlich stand er nur zufällig im Bild herum, und die Uferanlagen hinter ihm waren gemeint. Thomas wandte sich um – doch bevor er darüber nachdenken konnte, was dort ein Bild wert gewesen war, musste er einsteigen. Die ersten Fahrzeuge rollten von der Fähre.
Johanna Breitenbach wartete in der Tür. Thomas staunte, er hatte sie bisher nie mit gelöstem Haar gesehen, sie trug es in der Hochschule immer streng nach hinten zusammengenommen. Jetzt fiel es bis auf die Schultern, es ließ sie weich und weiblich erscheinen. Er wollte etwas sagen, besann sich aber, dass man einer Dozentin keine Komplimente machte, schon gar nicht, wenn man mehr als zwanzig Jahre jünger war. Es hieß, sie sei eine begnadete Surferin, und je härter das Wetter sei, desto eher träfe man sie an der breitesten Stelle des Rheins vor Oestrich-Winkel über die Wellen jagend.
»Eh, toll«, entfuhr es ihm, und begeistert ging er an ihr vorbei auf ein Foto im Flur zu. »Sind Sie das?«
Es zeigte eine Surferin bei einem Sprung aus einer Brandungswelle heraus.
»Das ist vor Sylt. Wieso meint jeder, dass Frauen in meinem Alter unsportlich sind?« Johanna Breitenbach stemmte mit gespielter Verärgerung die Hände in die Hüften. »Auch Ihr Vater wurde nicht so alt geboren, wie er jetzt ist.«
»Bei den meisten glaubt man das«, druckste Thomas herum. »Jemand mit fünfundreißig gilt bei uns bereits als scheintot und ist mit fünfundvierzig nur noch sein eigener Schatten.«
|169| »Gehen Sie schon mal ins Wohnzimmer, dann macht Ihnen mein Schatten einen Tee – oder lieber ein Glas Wein?«
Thomas entschied sich für Tee. »Philipp und ich haben ein Abkommen. Null Promille – denn 0,1 Promille gefährden bereits unsere Existenz und die des Weinguts.« Auch wenn es hart war, sie hielten sich dran. Für nicht ganz eindeutige Fälle besaß er das Fahrrad, oder die »Firma« übernahm die Taxikosten. Aber da es auch seine Firma war, drehte er jeden Euro mehrmals um.
Johanna Breitenbach war viel gelöster, als er sie aus der Hochschule und vom Besuch auf ihrem Weingut in Erinnerung hatte. Sie trug einen burgunderfarbenen Mohairpullover mit V-Ausschnitt und dazu Jeans und Sandalen. Thomas war verwirrt, sie so als Frau zu sehen, sie war nicht mehr die Respektsperson aus dem Hörsaal. Und das brachte ihn noch mehr in Verlegenheit.
»Sie wirken nervös, Herr Achenbach. Was ist der Grund dafür? War die Begegnung mit dem Staatsanwalt derart aufwühlend – oder deprimierend?«
Wie reizend von ihr, dass sie ihm die Ausrede lieferte. »Ja, es war schrecklich, ich glaube, an dem Nachmittag ist alles schiefgelaufen. Regine sieht das ähnlich, der Staatsanwalt ist an einer wirklichen Aufklärung nicht interessiert.«
»Mit wirklicher Aufklärung meinen Sie, die Unschuld Ihres Freundes zu beweisen? Das ist ein hartes Urteil«, meinte die Dozentin. »Wie kommen Sie dazu?«
Thomas berichtete ihr so genau wie möglich von dem Gespräch und legte auch die Gründe offen, die ihn zu dieser pessimistischen Einschätzung brachten.
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