Riesling zum Abschied
So ganz habe ich noch nicht begriffen, was er von ihr wollte oder was er an ihr hatte. Alexandra hat Manuel nichts gegeben, nur genommen.«
»Womöglich war er nichts anderes gewohnt? Aber was hat das mit Alexandra und dem Mörder zu tun?«
»Der läuft irgendwo hier rum. Wenn er zu ihrem Tod gehörte, dann auch zu ihrem Leben. Sie selbst, Frau Breitenbach, haben gesagt, dass man am Leben des Opfers erkennt, warum es getötet wurde und wer der Täter war.«
»Mord ist immer der letzte Ausweg, der allerletzte. Entweder war der Mörder verzweifelt, befand sich in einer ausweglosen Situation, vielleicht war er bedroht, vielleicht zutiefst beleidigt, tödlich gekränkt, vielleicht ist sie mit ihm genau so umgegangen wie mit Ihrem Freund – oder schlimmer, oder der Mörder ist sich sicher, dass man nicht auf ihn kommt, dass man niemals vermuten würde, dass er es gewesen ist ...«
»Sie gehen von einem Mann aus.«
»Das tue ich. Junge Frauen würden es mit Mobbing versuchen, mit Rufmord, sie würden sich eher prügeln statt zum Äußersten zu greifen ...« Jetzt zögerte Johanna. Ihr war plötzlich noch eine weitere Möglichkeit in den Sinn gekommen. »Halten Sie es für möglich, dass Alexandra sich in irgendeine Beziehung gedrängt hat, und die Frau dieses Mannes hat ganz extrem reagiert und die Rivalin aus dem Weg geräumt?«
»Frauen erschlagen niemanden.«
»Auch Winzerinnen nicht? Auch nicht den eigenen Ehemann nachts im Bett mit einem Beil?« Sie lachte. »Das soll vorgekommen sein.«
»Das gehört mehr in Manuels alte Welt, in die oberbayerische, das Familiendrama auf dem Einödhof.« Jetzt lachte auch Thomas, wurde aber schnell wieder ernst. »Ich finde |176| Ihren Gedanken gar nicht so abwegig.« Er griff in die Tasche und zeigte Johanna die Fotokopie, sie war bereits ziemlich zerknüllt, er strich sie glatt. »Die Aufnahme wurde auf einem Reiterhof gemacht, wo Alexandra geritten ist.«
Nach allem, was Johanna wusste, passten Pferde zu den Allüren junger Mädchen, die hoch hinauswollten und im Grunde genommen Schwierigkeiten im Umgang mit Menschen und ihrer Umwelt hatten. Sie waren zwischen Pflege und Kontrolle hin- und hergerissen. Sie betrachtete die Kopie sehr aufmerksam.
»Kann es nicht ihr Vater sein? Was ist mit den Eltern? Haben die sich gemeldet?«
»Das ist nicht ihr Vater. Der würde sich nie wegdrehen, wenn man ihn mit seinem Kind fotografiert.«
Thomas stand auf und versuchte die Haltung nachzuahmen, die der Mann auf dem Bild eingenommen hatte, er drehte sich abrupt weg wie jemand, der sich nicht fotografieren lassen will.
»Er hat erreicht, was er wollte, man erkennt ihn nicht. Aber ich glaube, dass ich ihn schon mal gesehen habe. Irgendetwas in seiner Haltung erinnert mich an irgendw en ...«
»Irgendwas und irgendwen – finden Sie das nicht ein bisschen vage?«
»Ja, aber wenn es Manuel aus dem Knast bringt, gehe ich sogar zu einem Wahrsager.«
»Meditation hilft da, glaube ich, mehr.« Johanna war es lieb, dass sie beide nicht in tödlichem Ernst über die Angelegenheit sprachen. Die Unverdrossenheit und der Mut, mit dem der junge Mann ihr gegenüber bei der Sache war, machte das Drama erträglich. Manuels Verhaftung und der Mord gingen ihr bei Weitem nicht so nah wie Thomas. Aber was ging ihr eigentlich nah, was ließ sie überhaupt noch an sich heran? Johanna dachte an Carl, dann schüttelte sie innerlich die Gedanken ab und sah Thomas an.
|177| »Sie haben meine Frage nach den Eltern nicht beantwortet.«
Thomas kratzte sich am Bart. »Ich weiß nichts von ihnen. Ich könnte Manuel fragen, aber ich weiß nicht, wann ich die Besuchserlaubnis bekomme, zumindest soll Telefonieren erlaubt sein, und Briefe darf man auch schicken. Er hat nie von Alexandras Eltern gesprochen; ob sie von ihnen erzählt hat, weiß ich nicht, und mit Alexandra habe ich kaum ein persönliches Wort gewechselt. Es mag ein Fehler gewesen sein, im Nachhinein sehe ich das so. Ich sollte vielleicht mit den Eltern Kontakt aufnehmen und sie mir ansehen. Dann wissen wir, ob ihr Vater auf dem Bild ist oder jemand anders.«
»Wir dürfen uns nicht nur in diese Richtung bewegen«, gab Johanna zu bedenken. »Wir sollten uns klar darüber werden, wer von uns beiden was erledigen kann. Wir tappen nach wie vor im Dunkeln.«
»Ja, das tun wir.«
Thomas stand auf und lief im Wohnzimmer auf und ab und blieb vor dem Bücherregal stehen. Er zog ein Buch heraus, es war ein Weinführer der Toskana. »Waren Sie
Weitere Kostenlose Bücher