Rigor Mortis: Thriller Ein neuer Fall für Roy Grace (German Edition)
Acht-Stunden-Schichten, so dass vierundzwanzig Beamte rund um die Uhr im Einsatz waren. Vermutlich hatte er nicht alle Leute gesehen, die das Haus überwachten. Manche waren womöglich zu Fuß unterwegs, verbargen sich im Garten oder neben dem Haus.
Er hatte die Gespräche drinnen über die winzigen Richtmikrophone mitgehört, die er im Garten angebracht und auf das Haus gerichtet hatte. Er hatte mitbekommen, dass die Polizei gestern Abend bei ihr gewesen war. Und dass sie das Haus nicht verlassen wollte.
Er schaute in seine Notizen. Der Junge war heute um 8.25 Uhr in Schuluniform von einer Frau in einem schwarzen Range Rover abgeholt worden, in dem zwei weitere Kinder saßen. Um 8.35 Uhr hatte Carly Chase das Haus in einem Streifenwagen verlassen.
Um 9.05 Uhr hatte er bei ihr im Büro angerufen und sich als Mandant getarnt, der dringend mit ihr sprechen musste. Man sagte ihm, sie sei noch nicht eingetroffen. Ein zweiter Anruf bestätigte, dass sie auch um 9.30 Uhr noch nicht in der Kanzlei war.
Wo steckte sie?
74
CARLY CHASE SETZTE SICH neben Glenn Branson an den kleinen, runden Besprechungstisch in Roy Graces Büro. Grace kam dazu.
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Mrs Chase«, sagte er. »Bedauere, dass es unter so unerfreulichen Umständen geschieht. Möchten Sie etwas trinken?«
Die Angst schnürte ihr die Kehle zu. »Ich – es geht schon. Danke.«
Sie spürte, wie ihr rechter Fuß zuckte. Die beiden Polizisten schauten sie eindringlich an, was sie nur noch nervöser machte.
»Ich wollte mit Ihnen reden«, stammelte sie und schaute die Kriminalbeamten nacheinander an. »Detective Sergeant Branson und seine Kollegin habe mir gestern Abend die Situation erklärt. Ich habe die ganze Nacht darüber nachgedacht. Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, dass ich Scheidungsanwältin bin.«
Er nickte. »Ich weiß einiges über Sie.«
Sie knetete die Hände und schluckte, um den Druck auf ihren Ohren zu vertreiben. Ihre Augen wanderten von einer Sammlung alter Feuerzeuge zu den gerahmten Urkunden an der Wand und der Vitrine mit der präparierten Forelle und wieder zurück zu Grace.
»Ich glaube eher an Kompromisse als an Konfrontation«, erklärte sie. »Ich versuche eher, Ehen zu retten, als sie zu zerstören – das ist immer meine Philosophie gewesen.«
Grace nickte noch einmal. »Das ist eine sehr noble Einstellung.«
Sie schaute ihn von der Seite an, als überlegte sie, ob er sich über sie lustig machte. Dann wurde ihr klar, dass sie nichts über sein Privatleben wusste.
»Nach meiner Erfahrung reden die Leute einfach zu wenig miteinander.« Ihr Fuß zuckte noch stärker.
Grace starrte sie an. Er hatte keine Ahnung, worauf sie hinauswollte.
»Vor fünf Jahren habe ich meinen Mann bei einem Skiunfall verloren. Er wurde in Kanada von einer Lawine verschüttet. Meine erste Reaktion war, ein Flugzeug nach Kanada zu besteigen, seinen Bergführer zu finden – der überlebt hatte – und ihn mit eigenen Händen zu töten. Verstehen Sie das?«
Grace schaute zu Branson, der hilflos mit den Schultern zuckte. »Jeder geht anders mit seiner Trauer um.«
»Genau«, erwiderte Carly. »Deshalb bin ich hier.« Sie wandte sich an Glenn. »Gestern Abend haben Sie mir gesagt, mein Leben sei in Gefahr, weil die Eltern des armen Jungen, der bei dem Unfall gestorben ist, einen Mörder beauftragt hätten. Aber ich war nicht schuld an dem Unfall. Sicher, ich hatte zu viel getrunken und wurde deswegen verurteilt, aber es hätte auch keinen Unterschied gemacht, wenn ich stocknüchtern gewesen wäre. Das hat die Verkehrspolizei bestätigt. Es war auch nicht die Schuld des Lieferwagenfahrers, selbst wenn er Fahrerflucht begangen hat, und schon gar nicht die des Lkw-Fahrers. Der Junge selbst hat die Sache verschuldet, weil er auf der falschen Straßenseite gefahren ist!«
Branson wollte schon antworten, doch Grace kam ihm zuvor. »Mrs Chase, dessen sind wir uns bewusst. Aber wie mein Kollege schon erklärt hat, haben wir es hier nicht mit normalen, rational denkenden Menschen zu tun. Die Reveres sind Leute, die Differenzen nicht vor Gericht beigelegen, sondern durch körperliche Gewalt. Vermutlich ist ihnen sogar bekannt, dass Sie ihren Sohn nicht angefahren haben. Möglicherweise haben sie ihren Rachefeldzug sogar beendet – falls die beiden Morde deswegen verübt wurden. Aber ich bin für Ihre Sicherheit verantwortlich.«
»Ich kann nicht andauernd in Angst leben, Mr Grace – Verzeihung – Detective Superintendent.
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