Riley - Im Schein der Finsternis -
weitere sechzig Sekunden verlor, in denen ich meinen Freunden hätte helfen können.
Ich stand auf und sah Prinz Kanta direkt in die Augen. Meine Stimme klang erregt und sogar ein wenig zornig. »Hör zu, es tut mir leid, wenn ich das sagen muss, aber ich verstehe nicht so recht, warum du mir das nicht gleich am Anfang hättest sagen können. Ich meine, warum all das?« Ich fuhr mit dem Arm durch die Luft. »Warum hast du mich hierhergeschleppt, mir diesen komischen Tee zu trinken gegeben, wenn du mir die ganze Sache ebenso gut auf dem Friedhof hättest erzählen können?« Ich funkelte ihn wütend an und spürte, dass meine Gefühle mich überwältigten, aber in diesem Augenblick war mir das egal. »Ich meine, du weißt doch, dass meine Freunde gefangen sind und dringend meine Hilfe brauchen, und trotzdem hast du mich hierhergeführt, anstatt mir die Hilfe zu geben, die du mir versprochen hast. Damit hast du nur meine Zeit verschwendet.« Ich schüttelte den Kopf und stapfte zum Eingang, ohne noch einen Blick über meine Schulter zu werfen. »Hör zu, falls du jemals diesen Ort verlassen willst, dann lass es mich wissen. Ich werde dann nachschauen, wann ich einen Termin in meinem Kalender frei habe.«
Ich hatte die feste Absicht, mich aus dem Staub zu machen. Mit einem Fuß stand ich bereits vor der Tür, als seine Stimme mich zurückhielt. »Der Tee heißt Erinnerungstee «, sagte er.
Ich blieb stehen und blickte über meine Schulter zurück. Er warf mir einen intensiven Blick zu.
»Und du hast Recht. Ich hätte dir die Geschichte erzählen können. Das wäre dann ganz einfach für dich gewesen. Aber ich habe mich aus einem bestimmten Grund für den Tee entschieden. Ich wollte, dass du diese Geschichte selbst siehst, und nicht meine möglicherweise voreingenommene Version davon hörst. Ich hätte dich auch direkt in diese Szene hineinversetzen und sie dich miterleben lassen können, aber das hielt ich für zu erschreckend, zu beängstigend für ein Kind deines Alters. Außerdem sind diese Dinge eher Rebeccas Gebiet. «
Ich kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. Und obwohl ich sicher war, dass seine Worte alle in seinen Ohren einen Sinn ergaben – für mich bedeuteten sie nicht wirklich etwas.
Es war lediglich ein weiteres Rätsel.
Noch mehr von seinen geschickt gewählten, aber unsinnigen Worten, die noch mehr Zweifel in mir wachriefen.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust, verzog die Lippen und trat einen Schritt vor. Wieder hielt mich seine Stimme auf. »Worte können verletzen oder heilen, Riley. Sie können benützt werden, um viele emotionale Landschaften zu malen. Und oft werden sie von demjenigen, der sie ausspricht, beeinflusst, wenn nicht sogar verzerrt. Es war nötig, dass du diese Geschichte mit deinen eigenen Augen gesehen hast, durch deinen eigenen Filter, mit deinen eigenen Neigungen und Vorurteilen, unbeeinflusst durch mich. Um dir deine eigene Ansicht über etwas zu bilden, musst du dir etwas unverfälscht anschauen können. Also, Riley, sag mir: Warst du nicht berührt von dem, was du gesehen hast? Ich bin gespannt darauf zu hören, wie du das wahrgenommen hast.«
Anstatt wegzulaufen und dem Prinzen Lebewohl zu sagen, was ich am liebsten getan hätte, drehte ich mich um, so dass ich ihm wieder direkt in die Augen sehen konnte, und versuchte, ihm die verwirrende Flut der Gefühle zu erklären, die ich empfunden hatte – Gefühle, die ich möglichst nie wieder erleben wollte. Aber jetzt, da ich sie gespürt hatte, als diese schrecklichen Szenen sich vor mir abgespielt hatten, würde ich sie nie wieder loswerden, das war mir klar.
Vielleicht würde ich sie später irgendwo in einer dunklen Ecke meines Gehirns verstauen können und nur selten hervorholen, aber wirklich verschwinden würden sie wohl nie.
Sie hatten sich bei mir festgesetzt und würden für immer bei mir bleiben.
Für solche Gefühle gab es keine Müllkippe.
Bevor ich mich’s versah, stand ich wieder in der Hütte. Ich lehnte mich gegen einen der Bambusstöcke, die das Dach trugen, und wich seinem Blick aus, während ich nach den richtigen Worten suchte, um es ihm zu erklären. Ein Teil von mir wollte etwas Freches, Schnippisches sagen – etwas, was meine Mom als vorlaut bezeichnen würde.
Die Worte lagen mir bereits auf der Zunge und brannten darauf, ausgesprochen zu werden, aber als ich ihn wieder anschaute, nun, dann verschwanden diese Worte und wurden durch eine ganze Reihe anderer verdrängt.
»Zuerst war ich
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