Riley Jenson 01 - Die Mondjägerin
»Es ist genau neun, vielleicht sehen sie jede halbe Stunde oder jede Stunde nach.« »Wie nah ist es?« »Noch ein Stück weg.« »Haben wir noch genügend Zeit, zum Hauptgebäude zu kommen, wenn wir laufen?« »Ich glaube schon.«
Er nahm meine Hand, und seine Finger fühlten sich ganz heiß an. »Hüll dich in Schatten«, befahl er und zog mich vorwärts.
Wir schafften es gerade noch zum Hauptgebäude, bevor das Auto ins Blickfeld kam. Als es um die Ecke bog, machte der Lichtschein die Nacht taghell und strahlte uns beinahe direkt an. Ich kauerte in Schatten gehüllt neben Quinn, beobachtete das Auto und achtete auf meine Sensoren. Der Wachmann war ein Mensch. Etwas anderes hätte ich gespürt.
»Er langweilt sich«, sagte Quinn, sein Atem strich warm an meinem Ohr entlang. »Und er hasst seinen Job.«
Mein Oberschenkel ruhte an seinem, und die Luft zwischen uns war wie elektrisiert. Das Fieber brannte so heftig, dass mir trotz des eiskalten Windes der Schweiß den Rücken hinunterlief. Noch hatte ich mich unter Kontrolle, aber es gehörte nicht viel dazu, mich um den Verstand zu bringen. Ich hatte das Gefühl, Quinn wusste genau, in welchem Zustand ich mich befand, würde mir allerdings kein zweites Mal anbieten, mir Erleichterung zu verschaffen. Das nächste Mal musste ich ihn bitten. Wenn er glaubte, dass ich das nicht tun würde, täuschte er sich gewaltig.
»Wenn du ihn so leicht durchschauen kannst, ist er offenbar weder abgeschirmt noch hat er übersinnliche Fähigkeiten.« Er antwortete nicht gleich und wirkte abwesend. Nach einer Minute blinzelte er und sah mich an. »Ich habe seinen Verstand durchsucht. Hier ist nichts zu finden.« »Wir sollten trotzdem nachsehen.«
Er nickte und stand auf. Wir sahen nach und fanden, was wir erwartet hatten. Nichts.
»Ich hoffe, Jack und Rhoan haben mehr Glück als wir«, sagte ich, als wir zurück zum Wagen gingen. »Ich glaube nicht. Das ist alles viel zu gut durchgeplant, als dass man es leicht entdecken könnte.« »Ich würde es kaum als leicht bezeichnen, sich durch einen Berg Akten zu wühlen.« »Was haben wir denn schon gefunden? Pläne, die in einer Sackgasse enden.«
Er hob den Draht für mich an. Ich duckte mich darunter hindurch und blieb stehen.
Die Toten waren auf den Friedhof zurückgekehrt.
Es waren acht, und sie formten einen groben Halbkreis um uns herum. Es waren Männer, sie waren nackt und ließen, was ihre Männlichkeit anging, zu wünschen übrig. Ihre Körper waren muskulös, beinahe zu perfekt, und ihre Haut leuchtete so stark, dass es mich an den Mond erinnerte. Doch damit endete jegliche Ähnlichkeit mit Menschen. Die Haut auf ihren Armen wich an den Ellbogen dem schimmernd goldenen Fell einer Katze, und sie hatten eher Klauen als Hände. Anstelle von Gesichtern besaßen sie Kopf und Schnabel eines Adlers. Auf ihren Rücken wehten braungoldene Flügel sanft im Wind und bogen sich hoch über ihnen auf.
»Greife«, sagte ich. »So etwas in der Art, jedenfalls.« »Eine Kreuzung aus Greifen und Menschen, schätze ich.« Quinn blieb neben mir stehen und berührte meine Schulter mit seiner. Das Mondfieber begann zu singen, und mein ganzer Körper fing an zu zittern, eine Warnung, dass ich auf den Punkt zuraste, an dem ich nicht mehr zurückkonnte.
Ich ballte die Fäuste und kämpfte gegen den Drang in mir an. »Warum fühle ich sie dann als Tod und nicht als Greifvögel?« »Ich weiß nicht.« Er dehnte die Hände und sah mich an. »Ich hoffe, du hast noch mehr Schläge auf Lager.« »Ganz bestimmt.« Ich beobachtete sie, wie sie uns beobachteten, und fragte mich, wieso sie sich noch nicht bewegt hatten. »Du kannst vermutlich nicht ihre Gedanken lesen?«
»Nein, sie sind geschützt, obwohl ich keine Drähte an ihnen entdecken kann.« Er nahm meine Hand und führte sie an seine Lippen. Sein Kuss war ganz zart, erotisch. »Viel Glück.«
Er ließ meine Hand los, verschwand in der Nacht und bewegte sich blitzartig nach rechts. Darauf hatten diese Geschöpfe offenbar nur gewartet. Mit einem Flügelschlag hoben sie ab und schwebten zu fünft auf Quinn zu, drei kamen zu mir. Es war eventuell ein bisschen verrückt, aber ich war beinahe beleidigt, dass sie in Quinn offenbar die größere Bedrohung sahen.
Mit ihren kraftvollen Flügelschlägen wirbelten sie die Nachtluft durcheinander. Um mich herum flogen Dreck und Blätter durcheinander und erschwerten die Sicht.
Als die drei auf mich zugeschossen kamen, drehte ich mich um, rannte
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