Riley Jenson 01 - Die Mondjägerin
als nur ein bisschen. Ich grinste breit. »Was hast du also gemacht, nachdem er auf mich geschossen hatte?« »Was glaubst du wohl? Ich habe ihn umgebracht.«
So lösten die Vampire jedes Problem – erst töten, dann fragen. Das war vielleicht einigermaßen in Ordnung, wenn das Problem hinterher zum Vampir wurde, ansonsten war dieses Verfahren ziemlich unsinnig. Schließlich konnte jemand, der tatsächlich tot war, keine Fragen mehr beantworten. »Und die Leiche?« »Dein Angreifer ist leider vor einen herannahenden Zug gestürzt. Was einige Fahrplanverschiebungen verursacht hat, während die Polizei ermittelte.« »Und natürlich werden sie keinen Hinweis auf einen Mord finden.« »Natürlich nicht.« Er musterte mich, und obwohl er lächelte, wirkte er sehr wachsam.
Er traute mir nicht wirklich, aber he, das war okay, denn das Misstrauen beruhte, wie gesagt, auf Gegenseitigkeit. Eventuell war er ja der, der er behauptete zu sein, aber bis jetzt hatte ich keine Ahnung, ob er Rhoan tatsächlich kannte oder gar mit ihm befreundet war.
»Hast du irgendeine Idee, wieso dieser Wolf dich töten wollte?« Ich zuckte mit den Schultern. »So was kommt immer mal wieder vor.« Obwohl ich noch nie zuvor gehört hatte, dass ein Werwolf einen anderen erschossen hatte. »Auf uns wird beinahe so viel geschossen wie auf euch Vampire.« In Wahrheit stellten die meisten Menschen uns noch eine Stufe unter die Vampire – hauptsächlich dank der vielen Werwolffilme, die seit Jahren aus Hollywood kamen. In der Regel wurden Werwölfe bei Vollmond nicht verrückt und jagten auch keine Menschen. Die, die es dennoch taten, waren bei ihrem Rudel schnell erledigt. Und es war äußerst selten, dass das Opfer eines solchen Angriffs selbst zum Wolf wurde, weil die Menschen so etwas in der Regel nicht überlebten. Und die wenigen, die es dennoch schafften, wurden nur verwandelt, wenn es bereits irgendwo in ihrem Stammbaum einen Wolf gab. Den Menschen schien der Hollywood-Mythos allerdings besser zu gefallen als die Realität. Oder sie fanden Vampire schlicht erotischer als jemanden, der sich bei Vollmond in ein Tier verwandelte.
»Hast du ihn schon einmal gesehen?«, wollte er wissen. »Kam dir sein Geruch bekannt vor?« Ich schüttelte den Kopf. »Woher wusste er dann, dass du um diese Uhrzeit nach Hause kommst? Und wieso wollte er dich erschießen?« »Wenn du in Erwägung gezogen hättest, ihn erst zu fragen, bevor du ihn umgebracht hast, wüssten wir jetzt vermutlich die Antwort.« Er reagierte nicht auf meinen nicht gerade subtilen Seitenhieb. »Kann es sein, dass dich jemand umbringen will?« »Dieser Kerl hatte es jedenfalls eindeutig vor.«
Er verzog das Gesicht. »Ich meinte, ob du in letzter Zeit jemand verärgert hast?« Ich grinste. »He, ich bin ein Werwolf.« Er nickte. Seine Miene wirkte zwar ernst, aber in seinen Augen glomm ein belustigtes Feuer. »Mit anderen Worten, ja.« »Hör zu, ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen.« Es sei denn, es ballert noch einmal jemand aus nächster Nähe mit einer Silberkugel auf mich.
Er stand auf, der Mantel klappte zur Seite, und ich schielte leicht gequält auf seine wohlgeformten Oberschenkel. Eine Hitzewelle durchfuhr mich, ein kurzes heftiges Begehren, das weitaus schlimmer werden würde, je näher der Vollmond rückte. »Ich bringe dich besser nach Hause.« Normalerweise hätte ich zu dieser Zeit ein solches Angebot von einem so gut aussehenden Kerl nicht abgelehnt. Aber bei diesem Burschen war ich mir nicht so sicher. Es fühlte sich gerade einfach alles ein bisschen zu gut an. »Du kannst hingehen, wohin du willst. Ich brauche keine Begleitung.« »Vielleicht nicht, aber bis Rhoan zurück ist, werde ich weiterhin in deinem Flur campieren.«
Warum er das tat, war die Frage, auf die er mir bis jetzt noch keine Antwort gegeben hatte. »Wieso nimmst du dir nicht einfach ein Hotelzimmer? Ganz in der Nähe gibt es ein Motel.« Dort verkehrten zwar Prostituierte und Drogenabhängige, aber ich glaubte nicht, dass ihn das besonders störte. Er war reich, aber unwiderruflich ein Vampir, und früher oder später waren die meisten Vampire schon einmal auf die schiefe Bahn geraten. Das meinte Kelly zumindest. »Dort könntest du wenigstens duschen.«
»Wenn er noch viel länger auf sich warten lässt, mache ich das.«
Er legte eine Hand auf meinen Rücken und schob mich aus dem Wartesaal. Seine Finger brannten auf meiner Haut. Zusammen mit dem intensiven Geruch von Sandelholz, der mir
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