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Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel Benchetrit
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kenne dich.«
    Sie hörte nicht auf zu lachen.
    »Hör auf, Maman … Außerdem geht dich das gar nichts an!«
    »Oh, entschuldige, ich hör schon auf …«
    Sie hörte aber nicht auf, sie lachte immer heftiger.
    »Hör auf, Maman!«
    »Entschuldigung!«
    Es ist furchtbar, wenn jemand so eine Lache hat, denn auch wenn es einen nervt, ist es ansteckend.
    »Schön für dich, wenn du das so lustig findest!«
    »Entschuldige … Rydchuko …«
    Sie hatte alles mitbekommen. Und als sie das sagte, lachte sie noch mehr, und ich musste plötzlich mitlachen.
    Wir hörten nicht auf zu lachen, bis wir zu Hause waren und bis ich im Bett lag – sogar als das Licht schon aus war, hörte ich sie noch in ihrem Zimmer kichern.
     
    Bevor ich die Cité Berlioz erreichte, bin ich also an Mélanies Haus vorbeigekommen. Ich wusste, dass sie nicht da war, aber ich ging trotzdem ein wenig schneller und hielt den Kopf gesenkt, aus Furcht, gesehen zu werden. Ich spürte mein Herz heftig pochen, wie jedes Mal, wenn etwas Bedeutsames in meinem Leben passiert. Ich mag, wenn es wegen Mélanie pocht, dann tut es mir nicht weh.
    Mein Herz hatte bereits heute Morgen um kurz nach acht wild gepocht, als die Polizei meine Mutter mitnahm. Bis zum Hals hatte es geklopft und elendig geschmerzt. Ich fragte mich, wie oft ein Mensch sein Herz im Lauf eines Tages heftig klopfen spüren kann. Und ob es heute wohl noch einmal so klopfen würde.
    Am Ende der
Hortensienallee
tauchte die Cité Berlioz wie in einem Film mit Will Smith vor mir auf. Diese Filme, bei denen man nicht genau weiß, ob sie vor langer Zeit oder in ferner Zukunft spielen.
    Dabei wusste ich ganz genau, in welcher Zeit sich alles abspielte, denn wenn ich eine Gabe habe, dann diejenige, dass ich immer genau weiß, wie spät es ist.

Achtes Kapitel

10 Uhr 50
     
     
    Berlioz ist die größte Wohnturm-Siedlung hier in der Gegend, und die älteste, aber das erwähnte ich ja bereits. Es gibt ein Einkaufszentrum wie bei uns im Viertel, mit Geschäften, die bereits seit tausend Jahren geschlossen sind. Das Einkaufszentrum ist so gruselig, dass sich niemand mehr dorthin traut. Wir haben sogar so eine Art Mutprobe daraus gemacht – wer wagt es, ein Mal quer durchs Einkaufszentrum zu laufen? Wenn ich an der Reihe bin, wird mir immer ganz flau. Unter freiem Himmel kann ich mutig sein, aber geschlossene Orte mag ich überhaupt nicht – Sie wissen ja: meine Klaustrophobie. Die Stadtverwaltung hat die Eingänge und Ausgänge des Zentrums zumauern lassen. Gleich darauf haben die Banden Löcher in die Mauern gehauen, um ungehindert ein und aus gehen zu können. Die Löcher sind nicht groß, und kaum ein Lichtstrahl dringt durch, was dazu führt, dass dieses Labyrinth im Dunkeln liegt. Viele Junkies kommen her, um sich einen Schuss zu setzen, und wenn die Bullen anrücken, können sie sich hier leicht verstecken oder durch einen anderen Ausgang fliehen. Natürlich hat es tausend Pläne gegeben, um das Zentrum wiederzubeleben. EinParkhaus. Eine Grünanlage. Ein Theater. Sogar ein Museum. Aber anscheinend haben sie das Geld doch anderswo oder für andere Zwecke ausgegeben. Schließlich wimmelt es hier bei uns ja schon von Künstlern – zumindest ihre Namen schmücken die scheußlichen Schilder zu Füßen unserer Wohntürme.
    Ich hatte keine Lust, das Zentrum zu betreten, ich hatte Angst. Andererseits wollte ich meinen Bruder finden. Unschlüssig stand ich eine Weile vor einem der zugemauerten Eingänge und starrte in das Loch mit dem pechschwarzen Dunkel dahinter.
    Plötzlich hörte ich ein Pfeifen.
    Eine Melodie, die ich nicht kannte, und mit dem Echo hätten es auch gut zwei Leute sein können, die da pfiffen. Das Pfeifen kam näher, und plötzlich tauchte hinter der Mauer eine Gestalt auf. Ich wich ein Stück zurück und dachte augenblicklich an Patrick, den Perversen, von dem ich schon erzählt habe. Eigenartig, wie einen ein unheimliches Erlebnis an ein anderes erinnern kann. Das Pfeifen hörte auf, und die Gestalt blieb stehen. Ich spürte, dass sie mich beobachtete. Ich wollte schon wegrennen, als ich plötzlich jemand sagen hörte:
    »Charly?«
    Die Stimme war mir vertraut, ich war erleichtert.
    »Freddy Tanquin!«
    Freddy schwang sich über die Mauer – man hätte ihn für ein Gespenst halten können, das der Hölle entronnen war.
    »Was treibst du dich denn hier herum?«
    »Ich suche meinen Bruder.«
    »Ich habe ihn nicht gesehen.«
    »Ist er nicht hier im Einkaufszentrum?«
    »Vielleicht, aber

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