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Ringkampf: Roman (German Edition)

Ringkampf: Roman (German Edition)

Titel: Ringkampf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Dieser sparsame und doch unendlich sprechende Klang der Vernichtungssynkopen! Erinnerst Du Dich an jenes fortissimo, wenn Alberich durch seine steigenden Terzen hindurch endlich C-Dur erreicht, das Orchester ganz auf einen Paukenwirbel zurückgenommen ist, und dann abermals die Klarinetten dazwischenfahren? Es ist der erschütterndste Sext-Akkord, der erschreckendste Neapolitaner, den je ein Mensch gesetzt hat! Wie fühle ich mich dort verstanden ! In diesen Takten steht die Welt still, blicke ich durch die Musik hindurch auf etwas ganz Tiefes, Tragisches. Mich ergreift ein Schauer, wie wenn ich in den schwarzen Spiegel eines Teiches blickte und unten, auf dem Grunde — mich entdeckte! Was sage ich! Misere Parole! Es ist mehr als das, viel mehr als ich mit meinen armen Worten zu beschreiben vermag. Oh, wie ich Alberichs tödliche Verzweiflung spüren kann! Sie pocht in jedem Takt, es ist sein Blut, es ist mein Blut, das durch die Streicher rauscht, wenn der vernichtende Nibelung hinab in seine Schluchten stürzt.«
    Bellinis Füllfederhalter stockte. Der Maestro las den letzten Satz noch einmal durch. Vernichtet. Es mußte vernichteter Nibelung heißen. Ein feines Lächeln
durchlief seine Züge. Der Fehler war prophetisch. Vernichtet? Vernichtend? Am Ende gab es keinen Unterschied. Bellini nahm einen Schluck Champagner und fuhr fort, die schlanken, nach links geneigten Buchstaben aufs Papier zu setzen.
    »Endlich weiß ich wieder, wofür ich lebe, wofür ich meine Kunst mache. Die dunklen Zeiten der Hoffnungslosigkeit weichen zurück. Schon beginne ich zu vergessen, wie ich die letzten Jahre vegetieren mußte. Lohengrin — eine große Oper, gewiß! Der Fliegende Holländer – wunderschöne Musik, ohne Zweifel! Aber was sind sie gegen den Ring! Ninnoli! Kleine Artigkeiten für Kinder! Nur im Ring fühle ich mich ganz begriffen, finde ich all meine Freude und Traurigkeit, all meine Ängste und Träume in der Musik wieder. Es ist ein so inniges, köstliches, seltenes Gefühl! In den schwarzen Jahren der Entbehrung, wie oft stand ich am Abgrund, streckte ein kalter Tod schon seine Hände nach mir aus. Doch jetzt bin ich erlöst. Der Ring und ich: Wir sind ganz eins!
     
    Liebster! Nun habe ich Dir so viel von mir erzählt! Aber ich weiß, daß Du mich verstehst, Du Bester von allen.
    Addio, lieber Freund, ich umarme Dich tausendmal, m ille, mille baci
    Dein Benito
     
    P. S.: Kannst Du mir noch einmal verzeihen? Ich vergaß, Dir für die herrlichen tartufi zu danken, die Du mir geschickt hast! Mille, mille grazie ! Reginald hat damit eine wunderbare pasta zubereitet.
    Derselbe
     
    P.P.S.: Ich muß Dir noch eine unglaubliche Geschichte erzählen, die letzte Woche unserem armen bambino geschehen ist. Reginald war beim dentista, und — non ci crederai! — er hat seine neue Goldplombe verschluckt! Den ganzen Tag saß er mit dem Teesieb in quel certo posticino| . . . ich habe Tränen gelacht. Poverino! È tanto squisito!
    Ebenderselbe
     
    P.P.P.S.: Ich habe in Frankfurt einen neuen italienischen Schneider entdeckt. Er macht sehr dünne, leichte Baumwollhemden. Jetzt für den Sommer sind sie einfach l’ideale. Ich lasse Dir drei von ihnen zusenden.
    Wiederum derselbe
     
    P.P.P.P.S.: Ich sehe Dich doch an meinem Geburtstag? Die große Feier findet abends im Frankfurter Hof statt. Ich habe gehört, Zanassian wird sich darum kümmern. È un’uomo d’oro!
    Noch einmal derselbe
     
    P.P.P.P.P.S.: Die Probleme mit Ivan, von denen ich Dir vergangenen Monat schrieb, spitzen sich zu. Ich fürchte, ich muß mich endgültig von ihm trennen.
    Zum letzten Mal derselbe«
     
    Benito Bellini las seinen Brief durch. Zufrieden entfernte er das Blaupapier, legte die Durchschrift in eine flache Schachtel mit dem Etikett Lettere LXVII , faltete das Original und steckte es in einen gefütterten Umschlag.

17
    Im Zuschauerraum herrschte geschäftiges Halbdunkel. Unablässig klappten die vorderen Türen. Geduckte Gestalten huschten am Orchestergraben entlang, vereinzelte Figuren glitten durch die leeren Sitzreihen. Hinter dem geschlossenen roten Samtvorhang hämmerte es metallisch, Fahrwerk- und Gewindemotoren brummten. Gedämpfte Rufe stiegen zu den leeren Rängen empor. Alles arbeitete auf den magischen Moment hin, in dem sich Bühne und Orchester zum ersten Mal vereinigen sollten.
    Der Regisseur und sein Stab hatten sich in der achten Reihe hinter einem hölzernen Pult installiert. Mit hektischen Gesten diktierte Alexander Raven

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