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Ringkampf: Roman (German Edition)

Ringkampf: Roman (German Edition)

Titel: Ringkampf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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für ihn die Welt wieder in Ordnung ist.«
    Verbindlich lächelnd überwachte Reginald, daß auch der zweite Fuß vom hellen Teppich auf das melierte Linoleum hinübertrat. »Ja, Ivan, ich denke, du solltest etwas vorsichtiger sein. Und laß zuerst mich mit ihm reden. Ich kenne ihn besser als du. Vertrau mir.«
    Mit einem nachdrücklichen Ruck zog der Assistent die Tür ins Schloß. Schweratmend lehnte er sich gegen das Holz.
    Über dem Galeriegeländer erschien das verschlafene Gesicht Slawomir Wolanskys.

15
    Gwendolyn schrak zusammen. Sie hatte nicht damit gerechnet, zu dieser nächtlichen Stunde noch jemanden anzutreffen. Sie murmelte eine flüchtige Entschuldigung, wollte das Licht wieder ausmachen und sich durch den Türspalt zurückziehen, als sie sah, daß die Frau vor ihr keinen Kopf hatte. Mit der Hand am Lichtschalter blieb sie stehen.
    »Na so was«, gluckste sie. »Fricka, du blöde Kuh! Da hast du mich doch tatsächlich erschreckt.«
    Sie machte einige Schritte um das rot glitzernde Cocktailkleid herum. Vorwurfsvoll schüttelte sie ihren Bubikopf. »Du bist doch wirklich die allerletzte Schnalle. Nicht mal hier kannst du Wotan in Ruhe lassen. Meinst du, er vögelt weniger in der Weltgeschichte rum, wenn du ständig hinter ihm herschleichst? Und außerdem: Wie willst du denn in deinem Zustand was verhindern? So ohne Kopf und Arme.« Die Hospitantin hob den Rock an. »Einbeinig bist du auch noch.« Verächtlich ließ sie den pailetten besetzten Stoff herabfallen.
    Die Kostümwerkstatt war ein sonderbares Schlachtfeld. Auf langen Tischen türmten sich formlos weiche Kadaverberge. Stählerne Nähmaschinenarme ragten kantig hervor. Wie um Aasgeier zu verscheuchen, waren überall nackte, nurmit dürftigen Stoffetzen behängte Rümpfe aufgestellt. Zwei Dutzend kopfloser Helden und Heldinnen säumten den verwaisten Kampfplatz.
    Gwendolyn schaute sich um. Ihr Herz begann zu flattern, als sie am anderen Ende des Raums entdeckte, wonach sie suchte. Hastig schritt sie das zurechtgestutzte Spalier aus Göttern und Walküren, Wälsungen und Gibichungen, Rheintöchtern und Nibelungen ab. Die Herrenanzüge und Abendroben, Damenkombinationen und Ledermonturen, Smokings und Fellhosen glitten an ihren Augenwinkeln vorbei. Ihr Blick eilte voraus zu derblauen Figur.
    Ehrfurcht bremste Gwendolyn, je näher sie der Erscheinung rückte. Drei Fußlängen vor ihr blieb sie stehen. »Da bist du ja«, flüsterte sie. Ihre Hände zitterten, als sie den königsblauen Kunst-Samt berührte. Mit feuchten Fingern fuhr sie die Goldstickereien entlang.
Stich für Stich zeichnete sie die Sternbilder nach, die Wotans Göttermantel übersäten. Obwohl er gerade erst genäht war, schien er bereits Jahrtausende zu Staub geschleift zu haben. Andachtsvoll hob sie ihre künftige Bettdecke von der Schneiderpuppe.
    Die plötzliche Dunkelheit traf Gwendolyn wie ein Schlag ins Genick. Sie schrie auf. Derschwere Umhang rauschte zu Boden. In Erwartung eisern zupackender Hände begann sie um sich zu schlagen. Es dauerte eine Weile, bis sie begriff, daß es nur die nächtliche Opernfinsternis war, die sie überrascht hatte. Um Mitternacht wurde im ganzen Haus das Licht abgestellt.
    Die Hospitantin machte einige unsichere Schritte. Das einzige Geräusch in der Kostümwerkstatt war ihr eigener keuchender Atem. Drohend schwarz erhoben sich die Kadaverberge. Es warso dunkel, daß Tote unbemerkt ins Leben hätten zurückkehren können. Die geköpften Gestalten, deren Konturen Gwendolyn mehr erahnte als sah, flößten ihr mit einem Mal Furcht ein. Den Gedanken, in der Schneiderei zu übernachten, ließ sie fallen, noch bevor sie ihn ernstlich gefaßt hatte. Fieberhaft tastete sie sich in die Richtung, in der sie den Ausgang vermutete. Wotans Mantel blieb am Boden zurück.
     
    Gwendolyn lehnte sich wimmernd gegen eine Wand. Sie vermochte nicht mehr zu sagen, wie lange sie schon in dem mal stickigeren, mal kühleren, aber immer gleich aussichtslosen Schwarz umherirrte. Zeit und Raum hatten sich in dem Opernlabyrinth verflüchtigt. Nach unendlichen Gängen war sie zuletzt Treppen gestiegen, richtungslose Stufen, die weder hinauf- noch
hinabführten. Ihre Hände hatten sich taub getastet. Ihre Fingerspitzen waren blutig. An rauhem Beton hatte sie sich Ellbogen, Stirn und Wangen aufgeschrammt. Etwas Warmes, Klebriges sickerte ihr in die Augen. Verzweifelt sank sie auf den kalten Steinboden.
     
    Fremde Schritte geisterten durch das Treppenhaus. Es gab einen

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