Ringkampf: Roman (German Edition)
Der einstige Technische Direktor war mit Brünnhilde im Haus verschwunden.
39
Die Ensembleprobe im GMD-Zimmer ging zu Ende. Bariton hatte allein, Bariton hatte mit Baß, Bariton hatte mit zwei Bässen, Tenor hatte mit Tenor, Tenor hatte allein, Tenor hatte mit Baß, Bariton hatte mit Tenor, abermals hatte Tenormit Tenor, und schließlich hatte Tenor mit Sängerknabe gesungen.
Benito Bellini schüttelte sich selbst die Hände. »Danke, meine Herren, danke«, sagte er. »Ich glaube, wir haben heute ein gutes Stück Arbeit geleistet.«
Alberich, Wotan, Fafner, Mime, Siegfried und das Waldvöglein klappten ihre Klavierauszüge zu. Das Lob des Dirigenten ließ die postcantale Erschöpfung in
Übermut umschlagen. Während die fünfeinhalb Sängerihre Noten, Handtücher und sonstigen Probenutensilien zusammenräumten, zogen sie einander mit immerlauteren Scherzen auf.
Das Waldvöglein hatte Wotans Handy stibizt und spielte Gespräch nach Übersee. Als der Gott es entdeckte, rannte es kreischend zur Tür hinaus. Unter dem einmütigen Gelächter der anderen stürmte Wotan hinterher.
Der Maestro nahm von dem Schabernack um ihn herum keine Notiz. Mit pointierten Gesten redete er auf den musikalischen Assistenten ein, der die Probe am Flügelbegleitet hatte. Erbeugte sich über die Tasten und schlug eine rasche Folge schärfer werdender Dissonanzen an. Der junge Mann schürzte skeptisch die Lippen. Eindringlich wiederholte der Maestro die chromatischen Modulationen. Erst als er ein gebrochenes Auf Wiedersehen hörte, schaute er auf.
»Slawomir, würdest du bitte einen Moment dableiben«, rief er dem polnischen Sänger zu, der gerade das Zimmer verlassen wollte.
Er klopfte seinem Assistenten auf die Schulter. »Geh nur, Patrice. Ich denke, ich brauche dich jetzt nicht mehr. – Aber schau dir die Stelle im Rheingold an. Du wirst sehen, ich habe recht.«
Zögernd näherte sich Slawomir Wolansky dem schwarzen Bechstein.
Der Maestro lächelte ihm zu. »Ich würde gern noch einmal deine ersten Takte durchgehen.«
»Nicht gut«, fragte der junge Sänger betreten.
»Nein, nein, du warst molto bravo «, beruhigte ihn Bellini. »Es sind nur ein paar Kleinigkeiten, die ich gern noch ein wenig polieren würde.«
Slawomir Wolansky stellte seine Tasche ab und holte Klavierauszug und Bleistift wieder hervor. Benito Bellini schwang sich an den Flügel, drehte an der Klavierbank herum und lockerte seine Finger. Der Assistent winkte kurz zum Abschied und zog, nachdem auch die beiden Tenöre in den Gang hinausgetreten waren, die Tür zu. Maestro und Bariton waren allein.
»Bist du soweit? Ich beginne acht Takte vor Einsatz«, sagte Bellini und ließ bereits das erste Fafnermotiv über die dicken Metallsaiten hinweggrollen. Als die Auftaktsechzehntel in die notorischen Vernichtungssynkopen übergingen, nickte er dem Sänger zu.
» In Wald und Nacht vor Neidhöhl haltich Wacht «, sang Slawomir in lastenden Tonwiederholungen.
» Aspetta! Zwei Sachen sind hier ganz wichtig«, unterbrach ihn der Dirigent sanft. »Laß dich von den Synkopen im Orchester nicht dazu verführen, zu spät einzusetzen. Du darfst hier auf gar keinen Fall schleppen. Du mußt immer mit den vollen Taktzeiten dagegenhalten, d’accordo ?«
Der Sänger nickte und markierte die betreffenden Noten mit Bleistiftstrichen.
»Und dann ist es ganz wichtig, daß du am Anfang, bei In Waaald und Naaaaacht vor Neid – «, sang Bellini und griff dazu wieder in die Tasten, »daß du das Dis nicht zu hoch ansetzt. Es ist die übermäßige Sekund. Oder hier im verminderten Dreiklang die kleine Terz. Die Reibung C-Dis muß ich hören. Va bene? Laß uns noch einmal anfangen.«
» In Wald und Nacht vor Neidhöhl haltich Wacht «, sang Slawomir wieder und machte weiter, als er von Bellini ein aufmunterndes Lächeln empfing. » Es lauscht mein
Ohr, mühvolllugt mein Aug. Banger Tag, bebst du schon auf? Dämmerst du dort durch das Dunkel her? «
Der Dirigent hatte die Tremoli der letzten Takte blind gespielt. Fest hing sein Blick an dem jungen Sänger. Stumm formten seine Lippen die Worte mit.
» Grazie «, sagte er und faltete die Hände im Schoß. » Basta così. Sehrgut, Slawomir, sehrgut.« Ernickte anerkennend. Der Sänger errötete.
Bellini schmunzelte und schaute in seinen Klavierauszug zurück. »Vielleicht könntest du auf Waaaaaacht noch ein wenig crescendo geben«, schlug er vor. »Nicht übertreiben, aber laß den Ton ein bißchen schwellen. – Si, così è
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