Ringkampf: Roman (German Edition)
befreit. Allzu deutlich hatten ihr die letzten Wochen vorgeführt, wie sie noch immer von den Dingen hingerissen wurde, die sie seit jener Nacht hingerichtet glaubte.
Cora ließ die Weinflasche über dem Abgrund pendeln.
Als Flammenschwert hatte der Opernbrand versagt. Und untaugliche Schwerter mußte man zerschlagen.
DRITTER AUFZUG
»Wirr wird mir, seit ich erwacht: wild und kraus kreist die Welt!«
Erda, Siegfried, 3. Aufzug
38
Hans von Gluck hauste in Brombach. Das ausgestorbene Nest am Rande des Hinter-Taunus brütete in der unerwartet ausgebrochenen Sommerhitze. Seit Tagen schrillte die Dunstglocke über dem Rhein-Main-Gebiet Smogalarm. Der ehemalige Technische Direktor der Frankfurter Oper saß auf der Terrasse seines baufälligen Domizils und blätterte in der neuesten Ausgabe der Bühnentechnischen Rundschau. Seine neun Bassets lagen im Vorgartengras. Sie übten sich in der hohen Kunst, einander mit minimalem körperlichen Aufwand maximal auf die Nerven zu gehen.
Hans von Gluck ließ die Zeitschrift sinken. Das Schmerzensgejaule hatte ein Ausmaß erreicht, das ihm nicht einmal mehr gestattete, ungestörte Lektüre zu simulieren. Der kleine Mann rückte seine kombinierte Fern- und Lesebrille zurecht. Die Quelle des Wehlauts konnte er dennoch nicht erkennen. Die flachen Hunde verschwanden in der ungemähten Wiese.
»Himmelherrgottsakra!« Der Direktora. D. rappelte sich aus seinem Klappstuhl hoch.
»Sagts amol, seids ihr vollkommen deppert«, fluchte er, als er die Lage überblickte. »Grimgerde! Schwertleite! Aus!« Zwei der Bassetdamen hatten sich je ein Ohr ihrer ältesten Schwester ins Maul geklemmt und spielten Tauziehen. »Nix ois Ärger hot ma mit euch«, brummte
er und befreite seine liebste Hündin aus den Fängen ihrer Schwestern.
Cora Starneck lehnte am Jägerzaun. Fast zwei Stunden hatte sie gebraucht, um vom Bahnhof des nächstgrößeren Dorfes durch den Wald hierher zu wandern. Ihr Hemd triefte, sie stank, und ihre Füße hatten Blasen.
» Hojotoho «, grüßte sie trotz allem guter Dinge.
Hans von Gluck hob den kahlen Schädel. Die eingefallenen Züge begannen zu leuchten. Mit Brünnhilde auf dem Arm hinkte er durchs Gras. Die alte Bassetdame lüpfte die Ohren.
»Ja Servus, Mädel«, polterte er Cora entgegen. »Guat schaust aus.« Über verrottetes Gatter und Hündin hinweg drückte er sie an sich. Er reichte Cora bis kurz unters Kinn.
Die Dramaturgin erwiderte die windschiefe Umarmung. »Schön, dich zu sehen, Hans«, sagte sie immer noch kurzatmig, »es gibt so viel zu erzählen.«
»Kumm eini!« Erwinkte sie zum knarzenden Torherein. Arm in Arm zuckelten sie auf die Veranda zu. Die Sonne brannte.
»Mei, is des ois lang her«, seufzte er, »urlang.« Er rückte seinen Klappstuhl in den Schatten.
Cora fuhr sich durch die verschwitzten Haare. »Hans, mußtest du deinen verdammten Alterswohnsitz wirklich am hintersten Ende der Welt aufschlagen? – Ich bin total verdurstet.«
Der kleine Mann griente. »Im Eisschrank liegt a halbe Brauerei. Nur sei so gut, und hol dir selber was«, sagte er. »Die Küch is links. – Na ja, und wennst schon gehst, kannst mir auch gleich a Floschn mitbringen.«
In dem niedrigen Raum war es dämmrig. Auf dem
Herd stand ein Kessel mit braunen Eintopfresten. Neben dem Herd hing ein altes Plakat der Frankfurter Oper. DIE TROJANER KOMMEN. Wehmut ließ die Dramaturgin stehenbleiben.
»Findst dich z’recht«, fragte die Stimme des Direktors a. D. aus dem Garten.
Cora wischte sich übers Gesicht. »Ja, ja«, rief sie nach draußen. Sie öffnete den Kühlschrank und entfernte einige Schinkenscheiben, die auf den gestapelten Bierflaschen festklebten.
Ihr Blick wanderte zu dem Plakat zurück. DIE TROJANER KOMMEN. Jahrelang hatten diese drei schwarz auf rot gestanzten Worte auch über ihrem Bett gehangen. Als sie Frankfurt damals verlassen hatte, hatte sie das Plakat zum Müll geworfen.
Sie blinzelte, als sie wieder ins gleißende Licht hinaustrat. Der Direktor a. D. hatte es sich mit Brünnhilde im Schatten bequem gemacht. Cora drückte ihm eine der Bierflaschen in die Hand. Sie prosteten sich zu.
»Mei, is des ois lang her«, seufzte er zum zweiten Mal an diesem Nachmittag. Cora stürzte ihr Bier hinunter. Erbetrachtete seine Flasche, ohne zu trinken. Eine fette Hummel brummte über seiner Glatze.
»Läufts gut, bei den Proben«, fragte er. Der Versuch, desinteressiert zu klingen, mißlang.
Die Dramaturgin setzte schnaufend ihr Bier ab. »Für
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