Ringkampf: Roman (German Edition)
glaubt hier, er kann den Hammer fallen lassen, sobald er seinen letzten Ton gesungen hat. Aber eure Stimmen gehören leider zu einem Körper. Zu einem Körper, der sich auch dann auf der Bühne befindet, wenn er keine großen Gesten oder Töne fabriziert. Diese Haltung macht mich rasend. Auf der Schaukel rumsitzen kann ja auch irgend jemand anderes! Das ist genau das, was der Zuschauer dann spätersieht: einen Sänger, derirgendwie auf einer Schaukel rumsitzt. Wenn ihr auf der Bühne seid, müßt ihr jede Sekunde präsent sein. Ganz gleich, ob ihrspektakuläre Aktionen habt oder gar keine. Um richtig dazusitzen oder dazustehen, müßt ihr sogar eine viel größere Energie aufbringen, als um die Rampensau zu spielen. Wann kriegt ihr das endlich in eure verbretterten Sängerschädel hinein.«
Während seine Füße immer noch auf der alten Zigarette herumtrampelten, steckte er sich die nächste in den Mund. Die Hospitantin war unter den Tisch gekrabbelt, um das Feuerzeug aufzuheben. Mit einem flüchtig hingewischten Danke nahm er es in Empfang.
»Wir beginnen bei Wotans Schicksalsgesang«, sagte erlaut. »Mit allen Beteiligten.«
Niemand wagte mehr zu widersprechen. Die japanische Korrepetitorin griff energisch in die Tasten. Der Gott faßte ein Seil von Erdas Schaukel. Die Göttin verschleierte sich verachtungsvoll.
Der Regisseurlehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Er inhalierte asthmatisch. Sein linker Zeige- und Mittelfinger drückten der Zigarette die Luft ab. Seine rechte Hand fuhr zittrig in die Jackentasche. Edelstahl blitzte für eine Sekunde hervor.
» Dir Unweisen ruf ichs ins Ohr, daß sorglos ewig du nun schläfst! « Jochen Sywoll ließ sein Baßregister schwellen. Erstampfte mit dem Speerauf. » Um der Götter Ende grämt mich die Angstnicht, seit mein Wunsch es will! Was in des Zwiespalts wildem Schmerze verzweifelnd einst ich beschloß, froh und freudig führe frei ich nun aus. «
Die Musik stürzte sich in falschen Jubel. Heftig singend wanderte der Gott in Erdas Rücken umher. Er machte kehrt beim wütenden Ekel. Erüberging des Nibelungen Neid. Sturblickte ernach vorn zur erlösenden Weltentat. Alexander Ravens Augen tränten vor Anstrengung. Seine rechte Faust krampfte sich um den funkelnden Gegenstand. Die Zigarette verschmauchte zwischen seinen Fingern.
Wie ein immer länger werdender Schatten schlurfte der Mantel hinter Wotan her. Zum letzten Mal glomm die dunkle Stimme auf. » Was jene auch wirken – dem ewig Jungen weicht in Wonne der Gott. «
Langsam hob Wotan seinen Speer. » Hinab denn Erda! Urmütter-Furcht! Ur-Sorge! Hinab! Hinab! « In effigie kappte er die Schnüre, an denen er die Göttin aus dem Bauch der Erde hervorgezogen hatte. Die unendliche Melodie riß ab.
Mit glasigem Blick starrte Alexander Raven zur Bühne. »Jochen, das war sehr gut«, murmelte er. »Wirklich. Das mußt du unbedingt behalten. Sehr gut.«
Er klärte seine angegriffene Stimme. »Kurze Pause! Wir machen in zehn Minuten mit der Szene Wotan/Siegfried weiter.«
In sich verkauert, blieb er am Tisch sitzen, während die anderen in Richtung Kantine davoneilten. Erüberhörte Gwendolyn, die ihn fragte, ob sie ihm einen Kaffee mitbringen solle. Er übersah Erda, die erhobenen Kopfes an ihm vorbeirauschte. Er merkte es nicht, als der glühende Zigarettenstummel zu Boden fiel. Mit einem widerwilligen Ruck zog er die Hand aus der Tasche. Seine zitternden Finger hielten einen Flachmann.
Die japanische Korrepetitorin schien am Flügel festgewachsen. Der Regisseur warf ihr erbitterte Seitenblicke zu. Unbeirrt schnurrten die Finger über die Tasten. Mit einem ungehaltenen Ruck wandte er sich ab und legte den Kopf in den Nacken.
Die Dramaturgin kam auf die Probebühne geschlendert. Lautlos pirschte sie an das Regiepult heran.
Alexander Raven fuhr zusammen. Wodka rann ihm übers Kinn.
»Wie schön, daß man dich auch mal wieder bei einer Probe sieht«, knurrte er. Er versenkte den Flachmann, noch bevor er sich die Zeit nahm, über den Mund zu wischen.
Cora grinste still vor sich hin. Sie entdeckte den Zigarettenstummel, dersichin den Holzbodenbrannte. Unwillkürlichtrat sie ihn aus.
»Tut mir leid, daß ich dir im Augenblick nicht als persönliche Assistentin zur Verfügung stehe«, sagte sie. »Aber ich muß mich um die Programmbücher kümmern. «
»So?« Der Regisseur lachte auf. Mit schweren Schritten ging er zu dem gewölbten Bühnenpodest. Er senkte den Kopf. Seine Hände klammerten sich an die
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