Ringwelt 06: Flatlander
schon?«
»Sicher.«
»Was zur Hölle ist mit dir, Gil? Wartest du immer noch darauf, daß irgendjemand kommt und dir den Arm zurückgibt? Das wird nicht geschehen. Du hast ihn verloren, und zwar durch deine eigene Dummheit. Und jetzt hast du die Wahl: Fliegst du mit einem imaginären Arm, oder kehrst du zur Erde zurück?«
»Ich kann nicht zurück. Ich besitze nicht genügend Geld dazu.«
»Und?«
»Okay, okay. Geh und such uns einen dritten Mann. Irgendjemanden, den ich mit meinem imaginären Arm beeindrucken kann.«
Ich nuckelte verträumt an meinem zweiten Luau-Grog. Inzwischen hatten sich sämtliche Nischen gefüllt, und um die Bar drängte sich eine zweite Reihe. Das Stimmengewirr bildete ein kontinuierliches hypnotisches Tosen. Die Cocktailstunde war angebrochen.
… Owen hatte das Ding tatsächlich geschaukelt. Also schön. Bei der Kraft meines imaginären Arms – Owen hatte einen Jungen namens Homer Chandrasekhar überredet, unserer Mannschaft beizutreten.
Und Owen hatte auch recht behalten, was meinen Arm anbetraf.
Andere mit ähnlichen Sinnen mögen eine größere Reichweite besitzen, bis fast um die halbe Erde herum, doch meine Einbildungskraft, die unglücklicherweise wörtlich zu nehmen ist, beschränkte mich auf eine psychische Hand. Meine Esper-Fingerspitzen sind sensibler und verläßlicher als jeder physische Tastsinn. Ich kann schwerere Gewichte bewegen. Heute, auf der Erde, bin ich imstande, ein schweres Whiskeyglas zu heben.
Ich entdeckte, daß ich ohne weiteres durch eine Kabinenwand greifen und die Schaltkreise dahinter auf Brüche untersuchen konnte. Im Vakuum konnte ich den Staub von der Außenseite meiner Sichtplatte wischen. Im Raumhafen vollführte ich magische Kunststücke.
Fast fühlte ich mich nicht mehr wie ein Krüppel, und das alles verdankte ich Owen. Sechs Monate des Schürfens, und ich hatte meine Krankenhausrechnungen bezahlt, ein Ticket zur Erde gekauft und noch immer genug Geld übrig.
»Finagles schwarzer Humor!« war Owen explodiert, als ich es ihm gesagt hatte. »Warum zur Hölle von allen Welten ausgerechnet die Erde?«
»Wenn ich meine Staatsangehörigkeit zurückerlange, ersetzt man mir meinen Arm. Kostenlos.«
»Oh. Das ist natürlich ein Argument«, stimmte er mir zweifelnd zu.
Der Belt verfügte zwar ebenfalls über Organbänke, doch dort herrschte stets Mangel an Nachschub. Belter trennten sich nicht so leicht von ihren Gliedmaßen. Ebenso wenig wie die Regierung des Belt. Sie hielt die Preise für Transplantate so hoch, wie es eben ging. Auf diese Weise begegneten sie einer zu großen Nachfrage und hielten zugleich die allgemeinen Steuern möglichst niedrig.
Im Belt hätte ich mir meinen neuen Arm kaufen müssen. Und dazu fehlte mir das Geld. Auf der Erde gab es das soziale Netz und einen unübersehbaren Vorrat an Transplantationsmaterial.
Was nach Owens Worten unmöglich gewesen war, hatte ich geschafft. Ich hatte jemanden gefunden, der mir meinen Arm zurückgeben würde.
Manchmal fragte ich mich, ob Owen meine Entscheidung gutgeheißen hätte. Er hatte sich nie dazu geäußert, Homer Chandrasekhar jedoch tat dies um so lautstärker. Ein Belter hätte sich seinen neuen Arm verdient oder wäre ohne ihn zurechtgekommen. Unter keinen Umständen hätte er ein Almosen angenommen.
War das der Grund, aus dem Owen sich nicht bei mir gemeldet hatte?
Ich schüttelte den Kopf. Ich konnte es nicht glauben.
Obwohl ich den Kopf bereits wieder stillhielt, schwankte der Raum weiter. Für den Augenblick hatte ich offensichtlich genug. Ich leerte meinen dritten Grog und bestellte mir etwas zu essen.
Das Abendessen machte mich nüchtern für die nächste Runde. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schock, daß ich bereits die gesamte Geschichte meiner Freundschaft mit Owen Jennison durchlebt hatte. Ich hatte ihn erst drei Jahre lang gekannt, obwohl es mir wie ein halbes Leben erschien. Und nicht zu unrecht: es war die Hälfte meiner sechs Jahre als Belter.
Ich bestellte Kaffee-Grog und beobachtete den Kellner beim Ausschenken: Heißer Milchkaffee, aromatisiert mit Zimt und anderen Gewürzen, übergossen mit hochprozentigem brennendem Rum. Dies war eine der Spezialitäten des Lokals, serviert von einem menschlichen Oberkellner, der speziell aus diesem Grund eingestellt worden war. Phase zwei meines zeremoniellen Bacchanals: Gib dein halbes Vermögen aus und bestelle nur das Beste.
Trotzdem rief ich Ordaz an, bevor ich von meinem Drink kostete.
»Ja, Mister
Weitere Kostenlose Bücher