Ringwelt 06: Flatlander
Hausverwalter in seinem Büro an, einen verweichlicht aussehenden jungen Mann mit wäßrigen blauen Augen. Sein dunkelroter, konservativer Papieranzug schien nach dem Gesichtspunkt maximaler Unauffälligkeit ausgewählt, genau wie das dunkelbraune lange Haar, glatt und ohne Scheitel nach hinten gekämmt. »So etwas ist hier noch nie vorgekommen!« beteuerte er, während er mich zu der Reihe von Aufzügen führte. »Nichts dergleichen! Es wäre auch so schon schlimm genug gewesen, aber daß er auch noch ein Belter sein muß …!« Er wand sich bei dem Gedanken. »Die Nachrichtenleute! Sie werden uns überrennen!«
Die Größe des Aufzugs erinnerte an einen Sarg, doch im Innern gab es ein umlaufendes Geländer. Er brachte uns schnell und ohne Rucken nach oben. Ich trat hinaus in einen langen, schmalen Korridor.
Was hatte Owen an einem Ort wie diesem gewollt? Hier lebten Maschinen und keine Menschen.
Vielleicht war es gar nicht Owen. Ordaz hatte sich nicht festlegen wollen.
Außerdem gab es kein Gesetz gegen Taschendiebe. Auf einem so übervölkerten Planeten war es unmöglich durchzusetzen. Jeder Mensch auf der Erde war ein Taschendieb.
Sicher, das mußte es sein. Irgendjemand hatte Owens Brieftasche gestohlen und lag nun tot in der Wohnung, die er unter fremdem Namen angemietet hatte.
Ich ging den Korridor hinunter in Richtung Appartement 1809.
Es war Owen, der grinsend in einem Lehnsessel saß. Ich warf einen genauen Blick auf den Toten, um sicherzugehen, dann schaute ich weg und nicht wieder hin. Doch der Rest war fast noch unglaublicher.
Kein Belter hätte dieses Appartement freiwillig gemietet. Ich war in Kansas geboren, doch selbst ich spürte die unbeschreibliche, anonyme Kälte. Jemand wie Owen wäre hier drin übergeschnappt.
»Ich glaube das nicht«, sagte ich.
»Kannten Sie ihn gut, Mister Hamilton?«
»Ungefähr so gut, wie sich zwei Männer nur kennen können. Owen und ich verbrachten drei Jahre mit Erzschürfen im Asteroidenbelt. Man behält keine Geheimnisse zurück unter diesen Bedingungen.«
»Und trotzdem wußten Sie nicht, daß Owen auf der Erde war.«
»Genau das ist es, was ich nicht glauben kann. Warum zur Hölle hat er sich nicht gemeldet? Warum hat er mir nicht gesagt, daß er in Schwierigkeiten steckt?«
»Sie sind ein ARM«, entgegnete Ordaz. »Ein Polizeiagent der Vereinten Nationen.«
Da hatte er recht. Owen war zwar so ehrenhaft gewesen wie jeder andere meiner Bekannten, doch Ehre ist im Belt etwas anderes als auf der Erde. Belter halten alle Flatlander für Ganoven. Sie verstehen nicht, daß Flatlander den Taschendiebstahl als eine Art Geschicklichkeitsspiel betrachten. Und doch betrachtet ein Belter das Schmuggeln genau so, ohne auch nur auf den Gedanken zu kommen, es könne unehrenhaft sein. Er wägt die dreißig Prozent Steuern gegen die mögliche Beschlagnahme seiner gesamten Fracht ab, und wenn die Chancen zu seinen Gunsten stehen, dann riskiert er es eben.
Owen hatte vielleicht etwas getan, das in seinen Augen ehrenhaft gewesen war, aber nicht in meinen.
»Vielleicht war Owen in ein krummes Geschäft verwickelt«, gestand ich. »Aber ich kann nicht verstehen, daß er sich deswegen umgebracht haben soll. Und … ganz bestimmt nicht hier. Er wäre niemals aus freien Stücken hier eingezogen.«
Appartement 1809 bestand aus einem Wohnschlafzimmer, einem Badezimmer und einem Abstellraum. Ich hatte einen Blick in das Badezimmer geworfen und bereits im Voraus gewußt, was mich erwartete. Es war so groß wie eine komfortable Duschkabine. Ein Kontrollpult vor der Tür diente dazu, verschiedene Armaturen aus Memoryplastik auszufahren, die das Badezimmer in einen Waschraum, eine Dusche, eine Toilette, einen Ankleideraum und ein Dampfbad verwandelten. Luxuriös in allem, mit Ausnahme der Größe, wenn man die richtigen Knöpfe drückte.
Das Wohnzimmer war in gleicher Weise ausgestattet. Hinter einer Wand verbarg sich ein breites Bett. Die Kochnische mitsamt Waschbecken, Ofen und Mikrowelle verschwand hinter einer zweiten Wand, und Sofa, Wohnzimmertisch und Sessel konnten im Boden versenkt werden. Ein Bewohner und drei Gäste reichten aus, um wahlweise die Atmosphäre einer gedrängten Cocktailparty, eines gemütlichen Abendessens oder einer Pokerpartie herbeizuführen: Kartentisch, Eßtisch und Wohnzimmertisch – alles war vorhanden, umgeben von den entsprechenden Sitzmöbeln, doch nur ein Satz auf einmal kam aus dem Boden. Es gab keinen Kühlschrank, keinen Eisschrank,
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